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Von – 27. Oktober 2014

Gott kennenlernen

Der Glaube an Gott wird von Eltern oder Großeltern an die Kinder weitergegeben – oder gar nicht. Doch in vielen Familien herrscht religiöse Sprachlosigkeit. Junge Eltern kennen die alten Riten, Lieder, Gebete und Geschichten oft selbst nicht mehr. Kitas oder Kirchengemeinden können hier helfen und unterstützen. Die Eltern bei der Glaubensvermittlung ersetzen können sie aber nicht.

Der Glaube an Gott ist nicht so sher eine theoretische Erkenntnis als vielmehr Erfahrung. Foto: Carola Fritzsche/epd-Bild

Der Glaube an Gott ist nicht so sher eine theoretische Erkenntnis als vielmehr Erfahrung. Foto: Carola Fritzsche/epd-Bild

Der Befund der jüngsten Mitgliederbefragung der Evangelischen Kirche in Deutschland war für viele überraschend und niederschmetternd: „Die Generationsweitergabe des Evangeliums gelingt zunehmend weniger, mitunter muss man die Sorge haben, dass sie schon unterbrochen ist.“

Und das ist eine eher noch vorsichtige Einschätzung. Dabei haben die Kirchen längst Anstrengungen unternommen, das Thema ist ja nicht neu. Zum Beispiel stecken sie erhebliche Ressourcen in den so genannten „religiösen Elementarbereich“, engagieren sich also für junge Familien, betreiben Kitas und Krabbelstuben, bieten Kindergottesdienste und Kindergruppen an.

Kitas oder Gemeinden können religiöse Bildung nicht übernehmen

Die Idee dahinter: Wenn religiöse Bildung nicht mehr wie früher selbstverständlich in den Familien weitergegeben wird, dann müssen eben Gemeinden und kirchliche Institutionen einspringen. Doch inzwischen zeigt sich, dass es so einfach nicht ist. So wenig wie die Erziehungsaufgaben vollständig der Schule übertragen werden können, so wenig kann die religiöse Bildung an Kindertagesstätten oder Kirchengemeinden übertragen werden.

Die Basis für den Glauben an Gott ist Vertrauen. Und das lernen Menschen in der Beziehung zu den Eltern, vornehmlich zur Mutter: Das Kind schreit, und die Mutter – oder jemand anderes – wendet sich dem Kind zu, nährt es, spricht mit ihm, hält es in einer zärtlichen Umarmung. Auf diese Weise entsteht, was in der Psychologie „Ur-Vertrauen“ genannt wird.

Wie Säuglinge ihre erste Krise erleben und wie sie gelöst wird, sei entscheidend für die spätere „Grundstimmung des Menschen“, sagt der Psychologe Erik H. Erikson. In diesem frühen Alter wird bereits darüber entschieden, ob jemand später einmal stärker von Vertrauen oder von Misstrauen geprägt ist. Lange bevor Kinder also das Wort „Gott“ verstandesmäßig erfassen, und lange bevor sie religiöse Lieder, Gebete und Geschichten verstehen, machen sie ihre ersten „Gotteserfahrungen“: Wenn das Kind erlebt, dass die Mutter oder der Vater sich bedingungslos kümmern und zu ihm stehen. Diese tiefen Erfahrungen am Lebensanfang lassen bereits etwas von der religiösen Dimension des Lebens durchscheinen: Auch Gott steht bedingungslos zu den Menschen.

Die „schlechthinnige Abhängigkeit“ des Säuglings von der Mutter

Der Philosoph Friedrich Schleiermacher hat Religion als das Gefühl der „schlechthinnigen Abhängigkeit“ definiert. Genau das erlebt ein Baby im Verhältnis zur Mutter: Sie ist für den Säugling schlicht und einfach „alles“. Am Anfang des Lebens sind Menschen von der Mutter – oder auch von anderen, die die Mutterrolle einnehmen – „schlechthinnig“, also völlig abhängig. Die Mutter übt quasi eine göttliche Funktion aus, sie ist so etwas wie der erste „Gott“ des Kindes.

Babies reagieren schon im Alter von wenigen Wochen auf das Gesicht der Mutter: Allein das Erscheinen des mütterlichen Gesichtes im Blickfeld des Kindes löst Wohlbefinden, Ruhe und Vertrauen aus. Manche Theologen ziehen hier eine Parallele zum aaronitischen Segen, der am Ende jedes Gottesdienstes gesprochen wird: „Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; Gott hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“

Religiosität ist nicht in erster Linie eine Sache der Theorie oder der Erkenntnis, sondern eine Erfahrung. Und zwar einer Erfahrung, die absolut notwendig ist, damit Kinder gut leben und aufwachsen können. Deshalb kann der Religionspädagoge Rainer Möller sagen, dass Menschen in gewissem Maße „Religiosität einfach in sich tragen“.

Lieder, Geschichten und Gesten sind wichtig

Natürlich bleiben Kinder nicht so „schlechthinnig abhängig“ von ihren Eltern, sie werden im Lauf der Zeit immer selbstständiger, sie entwickeln sich zu Individuen. Wenn sie ungefähr drei Jahre alt sind, beginnen sie zu fragen: Wieso bin ich so, wie ich bin? Warum lässt Gott zu, dass ein Mensch so krank ist? Wie sieht Gott aus? Wer hat Gott erschaffen?

Auf solche Fragen zu antworten, ist gar nicht so leicht. Doch es ist auch unbefriedigend, das Kind mit einem „Das erkläre ich dir später“ oder „Frag doch nicht dauernd“ abzuwimmeln. Mit naturwissenschaftlichen, rationalen Erläuterungen können Kinder in diesem Alter freilich noch nicht viel anfangen. Viel besser sind daher Lieder, Geschichten, Gesten: Wer passt auf das Kind nachts auf? Der Teddy! Er muss am Bett sitzen, weil er das Kind bewacht.

So etwas zu erzählen bedeutet nicht, dass man Kindern Märchen und Aberglauben beibringt. Sondern es geht darum, wie der Religionspädagoge Fulbert Steffensky es ausdrückt, ihnen „eine Art Heimatgefühl zu vermitteln, das sie mit bestimmten Zeiten und Rhythmen, mit Orten und mit Ritualen verbinden. Kinder lernen Religion von außen nach innen.“

Jedes Kind hat ein „Recht“ auf Religion

Dieses Lernen ist nicht vermitteltes Wissen, sondern das Einüben einer Haltung, eines Lebensalltags, einer Weltanschauung. Keine Institution, keine Gemeinde und keine Kita kann so etwas leisten. Es ist nur in Beziehungen möglich, die von unbedingtem Vertrauen und Verlässlichkeit geprägt sind.

Das ist auch gemeint, wenn gesagt wird, jedes Kind habe ein „Recht“ auf Religion. Dabei geht es nicht um eine bestimmte Glaubenslehre oder bestimmte Dogmen, sondern um dieses Grundgefühl der Sicherheit. Auch Familien, die sich als atheistisch verstehen, vermitteln ja solch ein Urvertrauen, praktizieren eine Weltanschauung, üben Werte ein. Sie drücken es nur in anderen Riten und Formen und Gesten aus.

Die religiöse Dogmatik, die Auslegung heiliger Texte, die intellektuelle Auseinandersetzung mit verschiedenen Gottesbildern und Theologien, die Kritik an tradierten Glaubensformen – das alles kommt erst viel später. Es ist wichtig, baut aber auf den emotionalen Grundlagen auf, die am Lebensanfang vorgegeben wurden. Deshalb hat wirklich jedes Kind ein Recht auf Religion – aber eben nicht auf eine bestimmte Religion wie etwa die christliche oder die muslimische, sondern auf Religion überhaupt.

„Grundstimmung des Vertrauens“ unabhängig von religiösen Gedankengebäuden

Dieses Wissen sollte auch in Kitas vorhanden sein, denn Erzieherinnen haben dabei wichtige Aufgaben: Sie begleiten Eltern und Kinder in ihren Fragen, sie bieten Riten und Geschichten der Weltdeutung an, sie verweisen auf Literatur und geben dem interreligiösen Austausch Raum, etwa bei Elterncafés.

Es ist kein Wunder, dass gerade viele muslimische Eltern evangelische und katholische Kindertagesstätten bevorzugen, denn sie wissen, dass dort bewusst von Gott die Rede ist. Und damit ist eben gerade nicht gemeint, eine bestimmte Dogmatik oder bestimmte Gebote zu verbreiten. Sondern es bedeutet, die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie bewusst in das pädagogische Konzept einzubeziehen: Dass der Mensch „ursprünglich religiös“ ist in dem Sinne, dass wir eben alle ein Leben lang auf eine „Grundstimmung des Vertrauens“ angewiesen sind. Und zwar völlig unabhängig von irgendwelchen religiösen Gedankengebäuden.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 27. Oktober 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.