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Von – 7. November 2014

„Ich kam um Weihnachten herum, draußen war alles weiß, es war schön“

Migrantinnen erinnern sich bei den Interkulturellen Wochen im Evangelischen Familienzentrum Am Bügel an ihre Ankunft in Deutschland. Und erzählen sich gegenseitig, was sie im Koffer hatten.

Erzählcafé am Bügel: Migrantinnen erzählen, was sie im Koffer hatten, als sie vor vielen Jahren nach Deutschland kamen. Foto: Rolf Oeser

Erzählcafé am Bügel: Migrantinnen erzählen, was sie im Koffer hatten, als sie vor vielen Jahren nach Deutschland kamen. Foto: Rolf Oeser

Disha G. (alle Namen geändert) serviert süßen Tee in kleinen Tassen. „Aus meiner Heimat“, sagt die 55-Jährige lächelnd. Heimat, das war einmal Bangladesch, mit „kleinen und großen Fischen“, die der Vater aus dem Fluss zog, Mangos für zehn Cent das Kilo und mit Reis, viel Reis. Heimat, das ist heute vielleicht auch ein bisschen Deutschland geworden.

„Allah hu akbar“, Gott ist groß sagt G. Im Internationalen Frauentreff im Evangelischen Familienzentrum Regenbogen Am Bügel ist sie mit ihren sieben Jahren in Deutschland quasi das Küken. Die meisten anderen Frauen leben schon zwanzig Jahre und länger hier.

Im Koffer selbstgeschneiderte Kleider

Wie war das damals, die Heimat zu verlassen, was trugen die Migrantinnen in ihren Koffern, wie kamen sie in Deutschland an und wie fühlen sie sich heute? Angela Koch, Organisatorin des Frauentreffs, breitet die Arme einladend aus und bittet die Frauen zu einem grünen Zeitstrahl, der einzelne Stationen nachzeichnet.

Mit einem Koffer voller selbst geschneiderter Kleider kam Hala D. in Deutschland an. „Ich trug ein weißes Kleid. Man zwang mich, einen Mann von hier zu heiraten“, erzählt sie. Und davon, wie sich in die Freude eines jungen Mädchens, nach Europa zu gehen, Trauer über die Zwangsheirat und das Gefühl von Fremdheit mischten.

Der Sohn musste in Marokko bleiben

„Kleider hatte ich auch in meinem Koffer“, erzählt eine 59-jährige Marokkanerin. „Ich freute mich, mit meinem Mann zu leben, der schon zehn Jahre in Deutschland war.“ Bei einer anderen Marokkanerin hatte es 14 lange Jahre gedauert, bis sie ihrem Mann nach Deutschland folgen konnte. Die Tochter durfte sie mitnehmen, der Sohn musste in Marokko bleiben, um zur Schule zu gehen – so hatte es der Schwiegervater bestimmt. „Ich habe immer an ihn gedacht. Wir haben jeden Tag telefoniert, er weinte und weinte und wollte nicht alleine bleiben und schließlich durfte er auch hierher kommen.“

Und die ersten Tage im neuen Land? „Fremd, komisch, langweilig“, sagen die Frauen. Sie erinnern sich, wie schwer es anfangs war, nicht sprechen zu können, auf die Hilfe von Nachbarinnen angewiesen zu sein. Aber auch an schöne Dinge, wie etwa schöne Wohnungen oder  das Wetter. „Ich kam um Weihnachten herum, draußen war alles weiß, es war schön“, erinnert sich die 59-jährige Marokkanerin.

Mit der Erinnerung kommen auch Tränen

Und heute? „Ich hab mich nochmal richtig verliebt“, sagt Hala D. Sie ist stolz auf ihre vier Söhne, die gesund sind. Aber mit der Erinnerung an die Heimat Algerien kommen auch die Tränen: „Es war sehr, sehr schwer, von meiner Heimat wegzugehen. Ich bin elf Jahre nicht dort gewesen, das tut weh.“ „Mir geht es gut, ich habe hier zwei Brüder, meinen Mann, meine Familie. Drei Kinder sind verheiratet, hier ist es wie eine Heimat, “ sagt eine Marokkanerin.

Annelies Schabicki hat aufmerksam zugehört. Sie engagiert sich ehrenamtlich in der Kirchengemeinde und war gespannt auf die Frauen, die sie immer wieder trifft, von denen sie aber nichts wusste: „Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wissen wir mehr voneinander.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 7. November 2014 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.