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Von – 25. Juli 2015

Bibliolog: Das Eigene im Fremden

„Bibliolog und Midrash“ heißt die Veranstaltung, zu der Pfarrerin Sabine Fröhlich in die Paulsgemeinde am Römerberg eingeladen hat. Im jüdischen Wort „Midrash“ steckt das Verb „darash“ – suchen. Das macht mich neugierig, und so macht sich Silke Kirch an einem drückend heißen Sommerabend auf den Weg in die Innenstadt. Ein Erfahrungsbericht.

Pfarrerin Sabine Fröhlich (stehend) moderiert den Bibliolog in der Paulsgemeinde. Durch Erzählungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird die Gestalt des Moses lebendig. Foto: Silke Kirch

Pfarrerin Sabine Fröhlich (stehend) moderiert den Bibliolog in der Paulsgemeinde. Durch Erzählungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wird die Gestalt des Moses lebendig. Foto: Silke Kirch

Von den dreizehn Stühlen, die im Gemeinderaum stehen, bleibt einer zunächst leer. Petra Kunik ist kurzfristig für die Referentin des Abends, Iris Weiß, eingesprungen. Sie ist Mitbegründerin des Egalitären Minjan in Frankfurt und jüdische Vorsitzende der Frankfurter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Kooperationspartnerin der Abendveranstaltung ist.

Es geht um Kontakt, das wird sogleich spürbar, als wir beginnen. Eine kurze Passage aus der Bibel, Exodus 18 – ein Gespräch  zwischen Moses und seinem Schwiegervater Jethro – wird verbunden mit der Aufforderung an uns, zu formulieren, was in Moses vorgegangen sein könnte. Pfarrerin Fröhlich als Leiterin des „Bibliolog“ trägt die inneren Stimmen der Einzelnen in den Kreis. Dort überlagern und vernetzen sie sich, bilden einen eigenen Organismus.

„Bibliolog“ ist eine in den USA begründete, seit einigen Jahren auch in Deutschland zunehmend populäre Methode, um einen unkomplizierten Zugang zu biblischen Geschichten zu ermöglichen. In einem durch formale Rahmenbedingungen gestützten Dialog wird die eigene Lebenserfahrung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer Bibelgeschichte zusammengeführt, sodass die Überlieferung quasi „von innen heraus“ erlebbar werden kann.

Anders als im Psychodrama ist diese Methode streng textbasiert und führungsorientiert: Die Gruppenleiterin liest einen Bibeltext, ermuntert zur Identifikation mit einer Gestalt und gibt die Eindrücke der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann als Echo an die gesamte Gruppe weiter. So entsteht in der Identifikation aller mit einer bestimmten Figur ein vielschichtiger Dialog.

Auch in unserer Mitte wird Mose auf diese Weise plastisch erlebbar. Nähe entsteht, Nähe zur Überlieferung und Nähe zueinander. Wie die Skultpur eines Bildhauers umkreisen wir die Gestalt, deren Haltung aus jeder Perspektive ein wenig anders erscheint, wir beleuchten aus dem Umraum, sodass die Skulptur lebendig wird. Es entsteht Verbundenheit durch Empathie, die nicht unmittelbar wechselseitig ist, sondern darin besteht, dass wir alle unsere eigene Stimme diesem einen anderen leihen und darüber miteinander verbunden sind. Das ist überaus faszinierend. Und ganz einfach.

Die jüdische Tradition der mündlichen Überlieferung im „Midrash“ enthält eine ähnliche Suchbewegung. Seit Urzeiten entfaltet sie die biblische Überlieferung der Schrift. Midrash ist ebenfalls weitaus mehr als Textauslegung, ist vielmehr Verlebendigung des Sinns, der sich ohne diese Anreicherung mit Leben für die Menschen nicht aussprechen könnte: Die Menschen können nicht ohne Gott, Gott kann nicht ohne die Menschen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 25. Juli 2015 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.