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Von – 31. Juli 2015

Interreligiöser Austausch: Reisen und einander Kennenlernen

„Wenn Reiseerfahrungen die Neugier wecken für den Dialog – dann freue ich mich natürlich“. Ein Interview mit Ilona Klemens, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt.

Ilona Klemens ist Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt.

Ilona Klemens ist Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt.

Frau Klemens, Sie waren unlängst mit einer Reisegruppe Frankfurter Juden, Christen und Muslime in Marokko, die meisten der 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind hauptberuflich oder privat mit interreligiösen Fragen befasst, sind also „erfahren“, nichtsdestotrotz:  „Wer reist kann was erleben“ – wo steckten die größten Überraschungen?

Der Dialog findet ja immer zwischen Menschen statt, nicht zwischen Religionen. Insofern stecken die meisten Überraschungen im intensiven Kennenlernen der Personen, die bei einer solchen Reise gewissermaßen auf Zeit zusammen leben. Es gibt mehr Gelegenheit zum Austausch, auch jenseits von Glaubensfragen. Menschen tragen viele Identitäten in sich – die religiöse ist nur ein Aspekt unter vielen. Man nimmt die Mitreisenden mehr als Individuen, denn als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Religion wahr. Das ist wichtig, um immer wieder zu differenzieren: „den“ Juden, „die“ Christin oder „den“ Muslim gibt es nicht. Einer der muslimischen Teilnehmenden meinte zu mir, es sei schön gewesen, sich auch mal privat zu begegnen und nicht nur auf Sitzungen. Auch pauschale Urteile über die jeweiligen mutmaßlichen Frömmigkeitsstile wurden aufgebrochen. Das Christentum sei doch nicht so „wischiwaschi“, meinte eine mitreisende Muslima beispielsweise am Ende.

Was hat das mit dem Erleben von Glaubenspraxis zu Hause zu tun?

Unsere interreligiösen Reisen sind auch immer Grenzerfahrungen gewesen in dem Sinn, dass man zusammen auslotet, was gemeinsam möglich ist und was nicht. Während es hier in Frankfurt mittlerweile fast überall selbstverständlich ist, sich gegenseitig im Gottesdienst zu besuchen, war dies in Marokko für viele noch ungewohnt. Darüber entwickelten sich wichtige Gespräche unter den Teilnehmenden, um zu verstehen, worin dies begründet sein könnte. In verschiedenen Kontexten ist Verschiedenes möglich – das ist eine wichtige Lernerfahrung und da gilt es auch einerseits Rücksicht zu nehmen und andererseits gewohnte Pfade zu verlassen und Neues zu wagen. Interreligiös zusammengesetzte Gruppen sind immer auch eine Art „Avantgarde“ und Vorbild des Miteinanders, weil wir tun, was für andere (noch) undenkbar erscheint. Dabei respektieren wir gleichzeitig sorgfältig die bleibenden Unterschiede. Durch gemeinsame Erinnerungen, die auf Reisen geschaffen werden, wird auch der Dialog vor Ort gestärkt, denn solche konkreten Erfahrungen, von denen man erzählen kann, fließen auch automatisch in gemeinsame Veranstaltungen und Begegnungen ein. Sie machen den Dialog lebendig und authentisch, weil es immer um Beziehungen zwischen Menschen geht!

Sensibler Umgang und Respekt im Umgang mit Glaubensformen als Touristin oder Tourist  – was sind Grundvoraussetzungen dafür beispielsweise in hinduistischem, jüdischem oder islamischem Umfeld?

„Wer andere besucht, soll seine Augen öffnen und nicht den Mund“, sagt ein Sprichwort. Mancher ist versucht, auf Reisen schnell zu urteilen, ohne wirklich zu verstehen. Ich erzähle bei entsprechenden interreligiösen Veranstaltungen gern die Geschichte von den Pinguinen in der Wüste: Laufen zwei Pinguine in der Wüste. Sagte der eine zum anderen: „Was muss es hier geschneit haben, dass sie so viel Sand streuen mussten.“ Wer reist und sich auf „fremdem“ religiösem Terrain bewegt, schließt sich am besten jemandem vor Ort an, der sich wirklich auskennt. Ich denke, da gibt es mittlerweile viele entsprechende Angebote. Dann vermeidet man Fettnäpfchen, beispielsweise durch unangemessene Kleidung oder unsensibles Verhalten.

Wie gehen nach Ihrem Eindruck die verschiedenen Generationen mit dem Thema „Glauben“ um, wenn Sie sich in einem neuen religiösen Umfeld bewegen?

Aus meiner Erfahrung hier vor Ort heraus nehme ich wahr, dass sich jüngere Menschen tendenziell mit der religiösen Vielfalt an sich leichter tun, da sie es einfach jeden Tag in der Schule schon so erleben. Gleichzeitig bringen sie selber immer weniger Kenntnisse und Erfahrungen mit gelebtem Glauben mit – da haben ihnen ältere Menschen oft etwas voraus.

Gibt es zu Beginn der Sommerurlaubssaison 2015 Wünsche, die Sie mit Blick auf den interreligiösen Austausch haben?

Mittlerweile muss man ja nicht mehr irgendwo hin reisen, um religiöse Vielfalt zu erleben. Die gibt es reichlich auch in Frankfurt. Trotzdem kann der Besuch eines anderen Landes mit dessen religiösen Orten und Traditionen dazu führen, dass Menschen sich auch mehr für ihr Alltagsumfeld interessieren. Wenn Reiseerfahrungen die Neugier wecken für den Dialog – dann freue ich mich natürlich und wünsche allen, die entsprechendes vorhaben, interessante und bereichernde neue Erlebnisse!

Die Fragen stellte Bettina Behler von der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 31. Juli 2015 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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