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Aktuell

Von – 22. September 2015

Transkulturelle Kompetenz im Krankenhaus

Um ethische Herausforderungen im Gesundheitswesen angesichts kultureller Unterschiede geht es diese Woche bei der Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin in Frankfurt. Ein Interview mit Pfarrer Kurt Schmidt, der am Markuskrankenhaus in Ginnheim das Zentrum für Ethik in der Medizin leitet und als Studienleiter der Evangelischen Akademie Frankfurt die Tagung vorbereitet hat.

Pfarrer Kurt Schmidt leitet das Zentrum für Ethik in der Medizin am Markuskrankenhaus in Frankfurt-Ginnheim. Foto: Ilona Surrey

Pfarrer Kurt Schmidt leitet das Zentrum für Ethik in der Medizin am Markuskrankenhaus in Frankfurt-Ginnheim. Foto: Ilona Surrey

Das Thema „.Das Fremde‘ verstehen – Ethische Herausforderungen des interkulturellen Gesundheitswesens“, vor langer Zeit gewählt, ist angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen, die in Deutschland eintreffen, aktueller denn je. Welche Auswirkungen hat das auf das Tagungsprogramm?

Es gab so viele Anmeldungen, dass mit über zweihundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Veranstaltung bereits jetzt komplett ausgebucht ist. Auch sind einige Referenten durch ihre aktuelle Arbeit mit Flüchtlingen in zeitliche Bedrängnis geraten, doch wie es derzeit aussieht, können alle ihre vorgesehenen Beiträge halten. Aktuelle Erfahrungen werden dann sicherlich einfließen, wenn etwa über die MigrantInnensprechstunde des Frankfurter Stadtgesundheitsamts berichtet wird.

Wo sehen Sie kurzfristigen Bedarf an Weiterbildung für Krankenhauspersonal, was erhoffen Sie sich langfristig?

Das Krankenhauspersonal hat schon lange Erfahrung mit diesen Themen, und es ist dabei auch sehr hilfreich, dass das Personal selbst international zusammengesetzt ist. Von den etwa tausend Pflegekräften in den Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken haben etwa 250 Personen keinen deutschen Pass, und wenn wir die Personen mit so genanntem „Migrationshintergrund“ noch hinzuzählen, werden es noch mehr. Da ist viel Kompetenz in Hinblick auf fremde Sprachen und Gebräuche. Auch in der Aus- und Weiterbildung spielt das Thema für Mediziner und Pflegekräfte seit vielen Jahren eine immer größere Rolle. Dabei ist man in den letzten Jahren davon weggekommen, feststehende Bilder von einer „Kultur“ zu zeichnen, denn so etwas Starres gibt es letztlich nicht. Kultur ist in hohem Maße auch vom Betrachter abhängig und die Begegnung mit „dem Fremden“ immer auch eine Selbsterfahrung. Im Krankenhaus geht es um „transkulturelle Kompetenz“, und gerade die Pflege hat hier vieles an Fortbildungsaktivitäten unternommen, um zu einer kultursensiblen Pflege“ zu befähigen. Für die Zukunft steht das „kultursensible Krankenhaus“ auf dem Plan.

Wie steht es aktuell um die Pflege – in Krankenhäusern oder auch Altenheimen – mit Blick auf religiöse Aspekte?

Das Bewusstsein ist hier vor allem durch die Klinikseelsorge geschärft worden, etwa in Hinblick auf die Einrichtung von Gebetsräumen für Angehörige verschiedener Religionen oder zum besseren Verständnis religiöser Bedürfnisse im Sterben, beim Abschiednehmen und zum Umgang mit Verstorbenen. Bei ethischen Entscheidungen kann Religion eine sehr hilfreiche und entlastende Rolle spielen, etwa wenn mit Hilfe von Vertretern der jeweiligen Religion geklärt werden kann, welche Behandlungen vorgenommen werden können. Es kann aber auch zu Konflikten führen, wenn beispielsweise aus religiösen Gründen eine Behandlung abgelehnt wird, die medizinisch lebensnotwendig ist, oder wenn eine Maßnahme eingefordert wird, die medizinisch „sinnlos“ ist beziehungsweise aus Sicht des Arztes dem Patienten sogar schadet. Als Ethiker ist man hier als Mediator gefragt. Ein zentrales Element dabei ist, der jeweiligen Seite zu verhelfen, die „fremden“ Ansichten des Gegenübers besser zu verstehen. Wenn das vermittelt werden kann, ist schon viel gewonnen.

Das Tagungsprogramm beinhaltet sehr weitgehende Fragen, etwa nach dem Umgang mit Pränataldiagnostik oder auch mit dem Sterben. Ist es neben dem funktionierenden Alltag im Gesundheitswesen für die Entwicklung einer interkulturell sensiblen Medizin und Pflege nicht gerade auch wichtig, solche Fragen – trotz aller aktuellen Anforderungen – im Auge zu behalten?

Selbstverständlich! Es ist eine wissenschaftliche Fachtagung, die nicht in allen Punkten sofort auf praktische Umsetzung zielt, sondern an einigen Stellen fünf Schritt zurücktritt und grundsätzlich fragt: Was bedeutet es etwa, wenn jemand aus einem anderen Land mit anderen Wertvorstellungen auf ein Gesundheitswesen trifft, das Pränataldiagnostik anbietet und Menschen vor Entscheidungen stellt, die sie so vorher nicht kannten? Oder was bedeutet es, wenn Angehörige aus Pakistan den Arzt bitten, ihre Mutter nicht über ihren lebensbedrohlichen Krankheitszustand aufzuklären, um ihr nicht die letzte Hoffnung zu nehmen, zumal das in ihrem Land so üblich sei? Auch wenn uns dieses Anliegen so fremd gar nicht erscheint, so wirft es doch grundsätzliche ethische und rechtliche Fragen auf, die mit der Globalisierung verbunden sind und die auf unseren Ethik-Tagungen in der ganzen Welt diskutiert werden. Dabei wächst die Erkenntnis, dass nicht nur im Umgang mit Patienten aus anderen Ländern und Kulturen jeweils genauer zu erfragen ist, welche Wünsche und Wertvorstellungen sie haben, sondern dass dies auch auf Mitglieder des gleichen Kulturkreises zutrifft. „Kultur“ ist nicht starr und einheitlich. Auch mein Nächster ist letztlich ein Fremder.

Die Fragen stellte Bettina Behler von der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 22. September 2015 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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