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Von – 20. September 2015

Bananen im Gepäck

Was ist 25 Jahre nach der Wende aus den Partnerschaften mit ostdeutschen Kirchengemeinden geworden? Erinnerungen an Grenzübertritte, lustige Abende und intensive Freundschaften.

Egon Rehrmann (links) und Klaus Haase von der Regenbogengemeinde freuen sich über den Gingko-Baum im Kirchgarten. Er symbolisiert, dass die Gemeindepartnerschaft mit Möringen weiterhin wächst und gedeiht. Foto: Ilona Surrey

Egon Rehrmann (links) und Klaus Haase von der Regenbogengemeinde freuen sich über den Gingko-Baum im Kirchgarten. Er symbolisiert, dass die Gemeindepartnerschaft mit Möringen weiterhin wächst und gedeiht. Foto: Ilona Surrey

Nie wird Egon Rehrmann den Tag vergessen, an dem er mit elf anderen Frauen und Männern aus der Regenbogengemeinde in Sossenheim – damals war es noch die Tiberiasgemeinde – das erste Mal nach Möringen gefahren ist. Niemand von ihnen war zuvor in dem kleinen Ort bei Stendal in Sachsen-Anhalt gewesen, denn Möringen lag in der DDR. Trotz der schwer bewachten Grenze hatten sich sowohl in Möringen als auch in Sossenheim kurz zuvor einige Engagierte zusammengetan, um eine Gemeindepatenschaft auf die Beine zu stellen.

Am 22. Apri 1988 war es dann soweit: Ein Reisebus hielt vor dem Gemeindehaus in der Westerwaldstraße, um Richtung Osten zu fahren. „Im Gepäck hatten wir Gastgeschenke, viel Obst, vor allem natürlich Bananen“, erinnert sich Rehrmann, der heute 71 Jahre alt ist. „Was waren wir aufgeregt.“

Mit Recht. Sie kamen nämlich erst einmal nur bis zum Grenzübergang Helmstedt-Marienborn nahe Braunschweig. „Die Offiziere an der Grenze haben uns nicht einreisen lassen. Sie sagten, mit einem Reisebus brauchten wir eine Unterkunfts-Bescheinigung eines Hotels der DDR.“ Ob das stimmte oder eine willkürliche Schikane war, weiß Egon Rehrmann bis heute nicht. Der Busfahrer hatte von der Regel noch nie gehört. Aber aufgeben wollte die Sossenheimer Gruppe nicht. „Wir sind dann nach Braunschweig gefahren und haben uns bei einer Autovermietung drei rote Golf geliehen. Damit kamen wir problemlos über die Grenze.“

Schnappschuss vom Besuch in der Partnergemeinde Möringen. Foto: privat

Schnappschuss vom Besuch in der Partnergemeinde Möringen. Foto: privat

Möringen erreichten die Frankfurter am späten Abend, sie wurden bereits sehnsüchtig erwartet. „Wir wurden mit Selbstgeschlachtetem, Tee und Bier empfangen und saßen noch bis spät in die Nacht beisammen.“ Familien nahmen die Gäste aus dem Westen bei sich auf. „Meiner Tochter und mir wurde kurzerhand ein Ehebett überlassen“, weiß Egon Rehrmann noch genau, während er an einem Spätsommertag im Jahr 2015 im Gemeindehaus in Sossenheim sitzt und alte Fotos auf dem Tisch ausbreitet. „Da, die drei roten Golfs“, sagt er und zeigt auf ein Bild. Auf einer anderen Fotografie sind junge Frauen unter einem Porträt Honeckers zu sehen. „Wir sind uns als Fremde begegnet und als Freunde auseinander gegangen. Nach vier Tagen haben wir Tränen des Abschieds geweint.“

Die Regenbogengemeinde ist eine von vielen westdeutschen Kirchengemeinden, die Partnerschaften mit Gemeinden in der DDR pflegten. Die meisten von ihnen haben allerdings die Wiedervereinigung nicht lange überlebt. In Sossenheim war das anders. „Wir waren beeindruckt davon, wie die Christinnen und Christen in der DDR um ihren Glauben gekämpft haben“, erinnert sich Rehrmann. „Ganz intensive Beziehungen haben sich entwickelt und gehalten“, sagt auch Klaus Haase, der später in den Austausch eingestiegen ist, aber bis heute ebenfalls regelmäßig Richtung Stendal fährt. Gleich 1989 kamen die Möringer nach Frankfurt, kurz nachdem die Mauer gefallen und die Grenze offen war. „Ein ganz bewegender Moment“, sagt Rehrmann. Im Jahr 2000 charterten die Sossenheimer keinen Bus mehr, um nach Möringen zu fahren – sie nahmen einfach den Interregio nach Stendal.

Weltgeschichte im Kleinen, von der heute ein Ginkgo-Baum im Kirchgarten der Regenbogengemeinde zeugt. Er wurde 2008 zum zwanzigsten Jubiläum der Partnerschaft gepflanzt und mit einer Erinnerungstafel versehen. An der Kirche in Möringen wächst ein ebensolcher Ginkgo-Baum.

Tatsächlich haben sich die Gemeindemitglieder aus dem Osten und aus dem Westen bis heute fast jedes Jahr getroffen. „Erst zu Himmelfahrt, später um den 3. Oktober herum“, berichtet Klaus Haase, mal in Sossenheim, mal in Möringen, mal woanders. Sie haben gemeinsam die Wartburg besichtigt und waren in einer Eisengießerei in der Eifel, als dort eine Glocke für den Möringer Kirchturm hergestellt wurde. 2001 besuchten sie alle zusammen den Kirchentag in Frankfurt.

Eine andere Gemeindepartnerschaft, die die Wende überlebt hat, ist die zwischen der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde in der Nordweststadt und der evangelischen Kirche in Halle-Neustadt. Diese Partnerschaft bestand bereits seit den 1960er Jahren; „es passte gut, weil sich die Stadtteile ähnelten. Beide bestanden größtenteils aus Neubauten“, erzählt Nicole Lauterbach, die heute den Posaunenchor in Dietrich Bonhoeffer leitet.

Nach wie vor haben die Gemeinden mindestens alle zwei Jahre Kontakt. „Viele von uns sind zusammen alt geworden.“ Seit 1989 pflegen die beiden Posaunenchöre eine eigene Partnerschaft, erzählt Lauterbach. „Eine erste Chor-Fahrt nach Halle gab es im Frühjahr 1989, ohne dass man damals schon ahnen konnte, wie sich das Jahr noch entwickeln sollte.“ Zum 25. Jubiläum kamen jetzt neun Musiker aus Halle für ein Wochenende und ein gemeinsames Konzert in die Nordweststadt. „Es wurde ein wirklich gelungener Auftritt.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 20. September 2015 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.