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Von – 30. Oktober 2015

Albert Schweitzer: Ehrfurcht vor jedem Leben

Vor hundert Jahren formulierte Albert Schweitzer den Kernsatz seiner Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“. Vieles davon ist auch heute noch eine ziemliche Herausforderung.  

Albert Schweitzer, 1954. Foto: picture-alliance/dpa

Albert Schweitzer, 1954. Foto: picture-alliance/dpa

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Vor hundert Jahren formulierte Albert Schweitzer diesen Kernsatz seiner Ethik der „Ehrfurcht vor dem Leben“ – mitten im Ersten Weltkrieg. Zwei Jahre zuvor war der damals 38 Jahre alte, im Elsass aufgewachsene Theologe, Arzt und Organist zusammen mit seiner Frau Helene in den afrikanischen Urwald aufgebrochen, um in Lambarene (Gabun) ein Krankenhaus aufzubauen. In Europa hätte eine Karriere auf ihn gewartet, er zog es jedoch vor, seine Erfüllung in einem „rein menschlichen Dienen“ in der Nachfolge Jesu zu finden.

Der Urwald war für ihn kein Rückzugsgebiet, im Gegenteil, Schweitzer verstand sich als Bürger der Einen Welt, wie man heute wohl sagen würde, und dachte global. In Europa und Amerika warb er Spenden für sein Herzensprojekt ein und machte darauf aufmerksam, dass auch der Urwald Teil dieser Welt ist. Und neben der mühevollen und mit sehr einfachen Mitteln erfolgenden Arbeit in Afrika saß er nach seinem Tagwerk am „Krankenbett der Menschheit“, denn die besorgniserregende Entwicklung von Kultur und Zivilisation seiner Zeit trieb ihn um.

„Leben ist Leiden“ war seine Überzeugung, die von Kindesbeinen an genährt wurde. Schon mit sieben, acht Jahren machte sich der Pfarrerssohn zum Gespött seiner Schulfreunde, wenn er Vögel verscheuchte, die sie abschießen wollten, oder versuchte, Kinder vom Fischen abzuhalten. So reifte in ihm eine Haltung konsequenter Achtsamkeit gegenüber allem Leben, was eine pazifistische Gesinnung mit einschloss. Den Krieg sah er als die Folge eines schon länger andauernden ethisch-geistigen Verfalls und zunehmender Unmenschlichkeit.

Daher war er auf der Suche nach einer universalen Ethik, die nicht nur für Christen und Christinnen, sondern für die gesamte Menschheit unabhängig von Religion, Nation, Hautfarbe und politischer Haltung gelten sollte. Dabei verstand er sich – keineswegs bescheiden – als einer, „der die Menschen durch Denken innerlicher und besser machen will“.

Die zündende Idee kam Albert Schweitzer während einer mehrtägigen Bootsfahrt auf dem Ogowe zu einer erkrankten Missionarin: „Ehrfurcht vor dem Leben“. Eher von Buddha als von Jesus inspiriert, stellt Schweitzer fest: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Da niemand wisse, „welche Bedeutung das andere Lebewesen an sich und im Weltganzen hat“, dürfe man nicht zwischen wertvollerem und weniger wertvollem, höherem und niederem Leben unterscheiden. Ehrfurcht vor dem Leben heißt also, alles Leben, Menschen, Tiere und Pflanzen, als grundsätzlich gleich wertvoll anzuerkennen.

Auf dieser Basis müssen die Einzelnen gewissenhaft entscheiden, wann sie töten und wann sie am Leben lassen, denn Schweitzer war natürlich klar, dass Leben von anderem Leben lebt. Leben darf aber nicht nutz- oder gedankenlos vernichtet werden. Man kann fragen, ob eine solche „ins Grenzenlose“ erweiterte „Verantwortung gegen alles, was lebt“, wirklich für alle Menschen im konkreten Lebensalltag auch handhabbar ist. Zweifellos steht sie aber einem Leben- und Sterbenlassen entgegen, das fatalen Motiven folgt.

Zweifellos entwickelte Schweitzer seine Lehre nach seinem eigenen Beispiel. Man mochte ihn belächeln, wenn er es sorgsam vermied, auf eine Blume zu treten. Er lebte vegetarisch, engagierte sich gegen atomare Rüstung und für einseitige Abrüstung. Im Pazifismus sah er die einzig sinnvolle Strategie. 1951 erhielt Schweitzer, der auch Ehrenbürger der Stadt Frankfurt ist, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 1954 den Friedensnobelpreis.

Albert Einstein hielt Schweitzer für „den größten Menschen dieses Jahrhunderts“, Winston Churchill taufte ihn „Genie der Menschlichkeit“, und den Dichter Nikos Kazantzakis erinnerte er an den heiligen Franz von Assisi: „Sie ähneln einander wie Brüder.“

Das Deutsche Albert-Schweitzer-Zentrum in der Wolfsgangstraße 109 veranstaltet zum Jubiläum ein umfangreiches Programm!

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 30. Oktober 2015 in der Rubrik Ethik, Menschen, erschienen in der Ausgabe , .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.