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Von – 27. November 2015

Ein anderer Horizont

Rund 120 000 Frankfurterinnen und Frankfurter sind älter als 65 Jahre. Aber wie gut lebt man hier als alter Mensch? Was kann die Politik tun und was die Religionen? Darum ging es bei einer Podiumsdiskussion, zu der Oberbürgermeister Peter Feldmann eingeladen hatte.

„Mit dem Alter kommt der Psalter“, sagt das Sprichwort. Das stimmt aber heute nur noch teilweise. Foto: De Visu/Fotolia.com

„Mit dem Alter kommt der Psalter“, sagt das Sprichwort. Das stimmt aber heute nur noch teilweise. Foto: De Visu/Fotolia.com

Frankfurt ist im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands eine junge Stadt. Hier gibt es Arbeitsplätze, hier pulsiert das Leben, hier wollen junge Menschen wohnen, hier ziehen sie her. Geraten bei so viel Dynamik am Ende die Alten aus dem Blickfeld?

Nicht unbedingt. Eher optimistisch äußerten sich jedenfalls die Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Religionen auf dem Podium im Haus am Dom: Das Gebot, wonach man „Vater und Mutter ehren“ soll, werde immer noch beherzigt. „Die heute Fünfzig- oder Sechzigjährigen kümmern sich stark um ihre Eltern“, bekräftigte der evangelische Pfarrer Michael Frase, Leiter der Diakonie Frankfurt. Allerdings stelle sich die Frage, wer sich um diejenigen alten Menschen kümmert, die keine eigenen Kinder haben. Blutsverwandtschaft könne heute nicht mehr der Garant dafür sein, im Alter versorgt zu werden.

Das stimmt im Übrigen auch für Menschen mit ausländischen Wurzeln, wie Oberbürgermeister Peter Feldmann betonte: Viele von denen, die vor vierzig Jahren mit der Erwartung gekommen sind, im Ruhestand wieder in ihr Herkunftsland zurückzukehren, bleiben nun doch hier. Und stellen fest, dass ihre in Deutschland geborenen Kinder und Enkelkinder längst auch in Bezug auf ihre Familienvorstellungen „deutsch“ geworden sind: „Wenn sie ein Jobangebot in einer anderen Stadt bekommen, nehmen sie das genauso selbstverständlich an, sie bleiben nicht in Frankfurt, um sich um ihre alten Eltern zu kümmern“, sagte Feldmann.

Religionen und Glaubensgemeinschaften sind wichtige Akteure, wenn es darum geht, soziale Einbindung von alten Menschen jenseits der Verwandtschaftsfamilie zu organisieren. „Moscheen sind nicht nur sakrale, sondern auch soziale Zentren, und in vielen von ihnen gibt es jetzt Seniorengruppen“, betonte auch Selçuk Dogruer vom türkisch-muslimischen Dachverband DITIB. „Wir dürfen ältere Menschen nicht an den Rand der Gesellschaft drängen.“

Diskutierten im Haus am Dom über das Verhältnis von Religion und Alter: Selçuk Dogruer vom türkisch-muslimischen Dachverband DITIB, Rabbinerin Elisa Klapheck, Moderatorin Bascha Mika, Oberbürgermeister Peter Feldmann, die jüdische Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide, Dewi Maria Suharjanto vom Haus am Dom sowie Pfarrer Michel Frase, der Leiter der Diakonie Frankfurt (von links nach rechts). Foto: Rolf Oeser

Diskutierten im Haus am Dom über das Verhältnis von Religion und Alter: Selçuk Dogruer vom türkisch-muslimischen Dachverband DITIB, Rabbinerin Elisa Klapheck, Moderatorin Bascha Mika, Oberbürgermeister Peter Feldmann, die jüdische Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide, Dewi Maria Suharjanto vom Haus am Dom sowie Pfarrer Michel Frase, der Leiter der Diakonie Frankfurt (von links nach rechts). Foto: Rolf Oeser

Eine beliebte Veranstaltungsform in katholischen Kirchengemeinden seien thematische Treffen zwischen verschiedenen Generationen, berichtete Dewi Maria Suharjanto vom Haus am Dom. Große Resonanz habe zum Beispiel ein Wochenende gefunden, bei dem sich ältere und jüngere Erwachsene gegenseitig von ihrer „ersten Liebe“ erzählt haben. Vielleicht kommt es im Verhältnis zu den Alten heute weniger auf das „Ehren“ an als vielmehr auf die „Würde“, schlug Elisa Klapheck, Rabbinerin des Egalitären Minjan der Frankfurter Jüdischen Gemeinde, vor. Was alten Menschen heute fehle, sei nämlich nicht so sehr Respekt von Seiten der Jüngeren als vielmehr die Gelegenheit, aktiv teilzuhaben am gesellschaftlichen Geschehen. Wobei es „die Alten“ so heute auch gar nicht mehr gibt, das wurde in der Diskussion schnell deutlich. Nicht nur gibt es die „jungen Alten“ – also Menschen zwischen 60 und 80 Jahren, die körperlich ziemlich fit sind und oft vielerlei Aktivitäten entfalten – und die „alten Alten“, also die Hochaltrigen, die zunehmend auf Assistenz und Unterstützung im Alltag angewiesen sind.

Es gibt auch die finanziell gut gestellten und sozial integrierten Alten, die von allen Seiten umworben werden, weil sie nicht nur verhältnismäßig zahlungskräftig, sondern auch das Rückgrat des ehrenamtlichen Engagements in Organisationen, Kirchen und Parteien sind. Aber auf der anderen Seite gibt es eben auch die „abgehängten“ Alten, die vielleicht eine so geringe Rente haben, dass sie allein schon aus finanziellen Gründen kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Oder die fast keine soziale Kontakte mehr haben, keinen Freundeskreis, keinen Anschluss an Vereine oder Gemeinden.

Denn es ist ja eine Sache, dass es inzwischen viele Möglichkeiten für alte Menschen gibt, auch jenseits der Familie Anschluss an soziale Gemeinschaften zu finden, es ist aber eine ganz andere Sache, ob sie diese Möglichkeiten auch kennen oder in Anspruch nehmen. „Wir brauchen dringend Projekte gegen die Einsamkeit alter Menschen“, betonte Michael Frase. Es gebe in Frankfurt viele, die fast gar nicht mehr aus ihrer Wohnung herauskommen, deren Aktionsradius extrem eingeschränkt sei. Da reiche es nicht, sie zu Aktivitäten einzuladen, sie müssten im wahrsten Sinne des Wortes „abgeholt“ werden. Die Diakonie entwickele derzeit zusammen mit der Stadt ein entsprechendes Pilotprojekt.

Aber das Verhältnis von Religionen und Alter hat nicht nur soziale, sondern auch spirituelle Aspekte. Religiöse Menschen haben häufig einen gelasseneren Umgang mit der eigenen Sterblichkeit, kommen besser mit der Endlichkeit des Lebens zurecht – ein Thema, das in dieser Lebensphase biografisch an Bedeutung gewinnt. „Aber man kann nicht einfach im Alter anfangen, zu glauben, wenn man es das ganze Leben über nicht getan hat“, ist Michael Frase überzeugt.

Rabbinerin Klapheck warnte in dem Zusammenhang auch vor religiöser Selbstüberschätzung: „Es gibt am Lebensende eine Phase, in der man tatsächlich allein ist, und ich als Geistliche habe da nichts mehr zu sagen. Es gibt diesen Punkt, über den ich nichts weiß, und den muss ich respektieren. Man darf den Leuten nicht einfach schöne Sachen vom ewigen Leben erzählen.“ Auch die Katholikin Suharjanto bekräftigte, es sei nicht die Aufgabe von Religion, auf alles eine Antwort zu haben: „Wir müssen nicht alles besser wissen, aber wir haben mit unseren heiligen Texten und unseren Traditionen ein Reservoir, das dabei hilft, sich solchen existenziellen Fragen zu stellen.“

Auch noch wichtig: Die Beziehung zwischen Religion und Alter ist keineswegs einseitig, nach dem Motto: Die Religion hilft den Alten. Andersrum ist es ebenso wahr: Religionsgemeinschaften profitieren von ihren alten Mitgliedern. „Sie gehen mit einem anderen Horizont an existenzielle Fragen heran“, betonte Klapheck.

So, wie es in ihrem einführenen Vortrag bereits die Religionswissenschaftlerin Ruth Lapide deutlich gemacht hatte: „Die Alten sollen abgesichert sein in Würde, nicht widerwillig versorgt werden. Religion, Alter und Würde gehören zusammen.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 27. November 2015 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.