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Von – 20. November 2015

Nur noch Muslime…!? Die Flüchtlinge und ihre Religion

Phantasie und langer Atem sind gefragt, wenn es darum geht, den oft stereotyp daher kommenden gesellschaftlichen Debatten differenzierte Informationen entgegenzusetzen. Ein Kommentar von Ilona Klemens, Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt.

Ilona Klemens ist Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt.

Ilona Klemens ist Pfarrerin für Interreligiösen Dialog in Frankfurt.

Spätestens jetzt nach den Anschlägen von Paris droht die Befürchtung einer muslimischen Freundin Wirklichkeit zu werden, die sie bereits im September formulierte, als der Zustrom der Flüchtenden immer größer wurde: „Jetzt werden sie noch als Flüchtlinge willkommen geheißen – bald aber sind sie nur noch Muslime…“

Will heißen: Früher oder später wird sich das seit Jahren spürbar ansteigende Misstrauen gegenüber dem Islam im Allgemeinen und gegenüber den Muslimen auch gegen die Flüchtlinge wenden, die hier Zuflucht suchen, Zuflucht gerade auch vor denen, die im Namen dieser Religion schlimmste Verbrechen begehen!

Sicher positionieren sich, Gott sei Dank, auch viele in Medien, Gesellschaft und Politik für eine klare Trennung beider Themen: der Herausforderung durch die Zuwanderung der Fliehenden einerseits und der durch den muslimisch-extremistischen Terror andererseits.  Aber Pegida und Co., und in ihrem braunen Dunst die mittlerweile fast täglich stattfindenden Anschläge auf Flüchtlingswohnheime, lassen für die Zukunft Schlimmstes befürchten.

Dennoch wird wieder einmal eine Debatte um den Islam in Deutschland geführt – wie schon so oft in der Vergangenheit. Seit ich die Pfarrstelle für Interreligiösen Dialog in Frankfurt vor zwölf Jahren angetreten habe, begleitet uns dieses Thema immer und immer wieder, mit immer den gleichen Fragen, Stereotypen und Ängsten vor einer vermeintlichen Islamisierung der Gesellschaft.

Ich habe in den vergangenen Wochen viel überlegt, wie darauf reagieren. Ich habe mich für Gelassenheit und Ausdauer jenseits von Hysterie und Aktivismus entschieden. Der Dialog muss weitergeführt werden, es müssen Gelegenheiten für direkte Begegnung und Gespräche geschaffen und vorhandene Arbeit vor Ort, in den Stadtteilen, unterstützt und gestärkt werden. Phantasie und langer Atem sind gefragt, wenn es darum geht, den oft stereotyp daher kommenden gesellschaftlichen Debatten differenzierte Informationen entgegenzusetzen. Auch Frustrationen und Rückschläge sind auszuhalten – denn die gibt es natürlich auch und überall, wo wir es mit Menschen zu tun haben.

Ich erlebe die muslimischen Gemeinden und Dialogpartner in Frankfurt momentan aufgerieben zwischen internen und externen Erwartungen und Konflikten – bei gleichzeitigem Bemühen, gerade jetzt ihre soziale Verantwortung im Blick auf die Integration von Flüchtlingen wahrzunehmen und sich der Herausforderung durch religiös begründete Radikalisierung vor allem von Jugendlichen zu stellen. Das ist eine Mammutaufgabe für Gemeinden, die als einfache Vereine organisiert und auf ehrenamtliches Engagement und Spenden angewiesen sind.

Gleichzeitig unterstütze ich den jetzt auch vielfach zu hörenden Wunsch für eine umfassende, auch theologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen, dass Jugendliche sich von dem dschihadistischen Narrativ angezogen fühlen. Dieses wiederum  zeigt viele Verbindungslinien zum seit Jahrzehnten missionarisch-aggressiven Wahabismus Saudi-Arabiens, der mit viel Geld unterstützt in die islamischen, aber auch westlichen Länder exportiert wird.

Den Satz, das habe alles mit dem Islam nichts zu tun, mag emotional verständlich sein – ich lese ihn, quasi übersetzt so: Das hat nichts mit mir und meinem Glaubensverständnis zu tun. Aber auch Christinnen und Christen sind angehalten, die religiösen Quellen der langen Gewaltgeschichte der Kirchengeschichte nicht einfach als unchristlich abzutun. Vielleicht braucht es dazu eine langfristige, interreligiöse Initiative, die nicht nur den Islam in den Blick nimmt.

Terror will per definitionem Angst und Schrecken verbreiten, weiteren Hass und Gewalt säen und Menschen auseinandertreiben, die sich dann wechselseitig zu Feinden erklären. Die Terroristen hätten gewonnen, würden wir jetzt die Flüchtlinge allein nur über ihre religiöse Identität wahrnehmen. Die Kraft der medialen Bilder vom Sommer erzielte ihre Wirkung dadurch, dass Menschen einfach andere Menschen willkommen hießen – egal woher sie kamen, wie sie aussahen und was sie glaubten. Diese Haltung zu bewahren und zu stärken erscheint mir eines der besten Mittel zu sein, ein gerechtes und friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft auf den Weg zu bringen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 20. November 2015 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

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Ilona Klemens ist Pfarrerin für interreligiösen Dialog in Frankfurt.