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Von – 6. Mai 2016

Familien unter Druck

Alle reden von Familien, doch die äußeren Rahmenbedingungen sind nicht gut. Viele Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert, auch aus wirtschaftlichen Gründen.

Foto: colourbox

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„Jeder Mensch hat eine Familie. Und jede Familie fühlt sich anders an – sie ist groß, klein, traditionell, modern, zerstritten, harmonisch, kaputt oder heil – vielleicht sogar vieles davon gleichzeitig“, schreibt Kirchenpräsident Volker Jung. Für die evangelische Kirche, so betont er, sei nicht die Form des Zusammenlebens wichtig, sondern „dass sich Menschen aufmerksam über Generationen und Verwandtschaftsgrade hinweg in ihrer Familie umeinander kümmern“.

Tatsächlich wurde der Begriff „Familie“ erst Ende des 17. Jahrhunderts in die deutsche Sprache aufgenommen. Und was genau eine „Familie“ ist, ist keineswegs eindeutig. Jedenfalls mehr als die klassische Variante von „Vater, Mutter, Kind“. Was zählt, ist die starke Bindung der Personen aneinander, und dass sie gegenseitige Verantwortung übernehmen.

Allerdings geraten heute Familien immer stärker unter Druck. Es hat vor allem wirtschaftliche und soziale Gründe, dass es immer schwieriger wird, im Alltag füreinander zu sorgen und Kinder gut beim Aufwachsen zu begleiten. Gerade das Kind-Sein hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Noch bis in die 1980er Jahre hinein war Kindheit quasi öffentlich, sie fand zum Großteil auf der Straße statt. Heute sprechen Soziologen von einer „verhäuslichten Familienkindheit“: Immer mehr Freizeitaktivitäten werden ins Haus verlegt, die oft fehlenden Geschwisterkinder durch elterliche Aktivität und geplante Freizeit ersetzt. Eltern werden zu „Familienmanagern“, die versuchen, eine „Verinselung“ ihrer Kinder durch gezielte Freizeitgestaltung zu überbrücken. Sie investieren viel Zeit und Geld, um ihre Kinder mit anderen Kindern zusammenzubringen.

Gleichzeitig sind die Anforderungen an die Kindheit gestiegen, die Elternrolle wurde „pädagogisiert“. Erziehungsziele wie Gehorsam, Pflichtbewusstsein und Anpassung wurden durch ein partnerschaftlich-egalitäres Beziehungsmodell ersetzt. Für die Eltern ist es beim Aushandeln von Regeln durchaus schwierig, das richtige Maß zu finden: Manche sind „Helikoptereltern“ und verwöhnen ihre Kinder viel zu sehr, andere vernachlässigen sie.

Dabei bedeutet Elternschaft nach wie vor für Väter etwas anderes als für Mütter. Mütter erbringen trotz Emanzipation auch heute den überwiegenden Teil der Erziehungsleistung. Sie sind es, die zeitweilig auf Berufstätigkeit verzichten. Zwar haben junge Frauen und Männer heute vergleichbare Lebensstile und Karrierechancen, aber sobald das erste Kind kommt, wird die Aufgabenverteilung wieder im traditionellen Sinn organisiert. Dabei setzt der persönlich hohe Anspruch an Beruf und Familie alle unter Druck: Mütter wollen „gute Mütter“ sein und dennoch berufstätig, und die neuen Väter wollen auch Zeit für die Familie haben.

Eine sehr massive Trennungslinie sozialer Abgrenzung verläuft zwischen aktiven Eltern, die sich stark um ihre Kinder kümmern, sie bewusst erziehen und intensiv fördern, und solchen Eltern, die die Entwicklung ihrer Kinder eher „laufen lassen“. Diese Eltern sind oft schnell mit ihren Kindern überfordert, stellen eher niedrige Anforderungen und sind häufig schon zufrieden, wenn die Söhne nicht kriminell und die Töchter nicht zu früh schwanger werden. Die einen geraten unter Druck, weil sie Angst haben, ihren Kindern nicht das Optimum zu bieten, die anderen, weil sie von der Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Nach Schätzungen sind heute knapp ein Drittel der Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. In vielen Fällen hat das wirtschaftliche Gründe: 15 Prozent der Familien in Deutschland leben nach offizieller Statistik in relativer Armut. In diesen Familien ist die Beziehung der Eltern zu den Kindern häufig schwierig. Die Kinder finden nicht den nötigen Halt, den sie brauchen, weil die Eltern mit anderen Problemen belastet sind. Da die Kinder die Knappheit des Geldes in der Familie spüren, fühlen sie sich häufig Altersgenossen aus anderen Gesellschaftsschichten gegenüber benachteiligt: Sie können nicht die gleiche Kleidung tragen, sich nicht die gleichen technischen Geräte kaufen, und sie fahren nicht zusammen mit ihren Eltern in schicke Ferien zu exotischen Zielen.

Das alles spielt sich in einer stark auf Konsum und Zurschaustellung von Markenartikeln ausgerichteten Gesellschaft ab, in der Medien und Werbung diese materielle Ausrichtung ständig unterstreichen – wobei gerade in benachteiligten Familien besonders häufig der Fernseher läuft. Nur wenige Eltern können diesem Druck selbstbewusst entgegentreten und haben gelernt, mit ihren knappen finanziellen Mitteln möglichst effizient umzugehen. Konsum steht in diesen Familien letztlich auch für Fürsorge: Dass sie ihren Kindern demonstrativ eine Playstation und ein Handy kaufen, ist für viele Eltern am unteren Rand der Gesellschaft ein symbolisches Zeichen: Es beweist, dass sie ihrem Förderanspruch genügen. Sie hoffen, mit diesen Konsumartikeln haben ihre Kinder die Chance, mit Kindern aus wohlhabenderen Familien mitzuhalten.

Die wiederum hecheln unermüdlich nach den besten Bildungschancen für ihre Kinder, der besten Privatschule, den besten Förderkursen. Dabei werden sie selbst zu Hilfslehrerinnen und -lehrern: Die Karriere des Kindes haben viele bereits im Kindergarten im Blick.

Unter dem Motto „Jede Familie ist anders“ macht die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) auf die vielfältigen Möglichkeiten des Zusammenlebens aufmerksam.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 6. Mai 2016 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.