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Aktuell

Von – 12. Mai 2016

Nicht allein

In Familien übernehmen Menschen Verantwortung füreinander, sorgen für andere und vor allem für die Schwächeren. Dass die „Care-Arbeit“ gelingen kann, ist ein Gestaltungsauftrag für die ganze Gesellschaft.

Vertraute Zweisamkeit: Verlässliche Beziehungen sind wichtig. Foto: corbis_fancy / fotolia.com

Vertraute Zweisamkeit: Verlässliche Beziehungen sind wichtig. Foto: corbis_fancy / fotolia.com

„Nicht allein – Jede Familie ist anders!“, dieses Motto ist seit Ende April auf roten Fahnen auch an Frankfurter Kirchen zu lesen. Es ist ein Anstoß der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, neu über das Thema „Familie“ nachzudenken.

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat das 2013 so formuliert: „Leitlinie einer evangelisch ausgerichteten Förderung von Familien, Ehen und Lebenspartnerschaften muss die konsequente Stärkung von fürsorglichen familiären Beziehungen sein. Alle familiären Bindungen, in denen sich Menschen in Freiheit und verlässlich aneinander binden, füreinander Verantwortung übernehmen und fürsorglich und respektvoll miteinander umgehen, müssen auf die Unterstützung der evangelischen Kirche bauen können.“

Menschen können sich heute freier entscheiden, wie sie verbindlich zusammenleben. Mit dieser Entwicklung öffnet sich auch ein neues Bewusstsein dafür, was Familie eigentlich sein soll: Ein Ort, an dem sich Menschen verlässlich unterstützen und wechselseitig Kraft geben, in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit und in unterschiedlichen Rollen. Menschen brauchen verlässliche Beziehungen.

Dr. Ursula Schoen. Foto: Rolf Oeser

Dr. Ursula Schoen. Foto: Rolf Oeser

Familie ist darin auch ein wichtiger Kontrapunkt zu anderen gesellschaftlichen Maßstäben. Denn Familie setzt nicht in erster Linie auf Vergleichbarkeit, sondern auf Unterschiedlichkeit. In Schule, Sport und Beruf geht es meistens um ein Kräftemessen unter Gleichen. Schülerinnen und Sprinter brauchen gleiche Voraussetzungen für einen fairen Start. In der Familie ist dies anders. Hier geht es gerade um die Unterschiede zwischen Menschen, zum Beispiel im Hinblick auf ihre Lebenserfahrung, körperliche Kraft, Verantwortung und aktuelle seelische Verfassung. Da ist es gerade gut, dass nicht alle das Gleiche können und einbringen und dass die einen einmal stark und ein anderes Mal schwach sind.

Im Ersten Korintherbrief verwendet Paulus das Bild eines Körpers für die Verbindung von sehr unterschiedlichen Menschen in der christlichen Gemeinde (Kapitel 12). Das Zusammenleben in der Gemeinde kann mit dem Zusammenwirken der verschiedenen Körperteile verglichen werden. Ohr, Hand, Kopf und Fuß brauchen einander. Keiner kann sagen, er sei weniger wichtig. Alle haben die gleiche Würde und alle gemeinsam bilden ein Ganzes.

Daraus folgt für Paulus: Wenn einer leidet, leiden alle, und wenn einer geehrt wird, freuen sich alle. Die wichtigste Aufgabe aller Körperteile ist es, für einander da zu sein. Paulus verwendet hier den griechischen Begriff für das alte Wort „Fürsorge“. Fürsorge bedeutet nicht, sich immerzu Sorgen zu machen. Gott hat die Sorge für morgen, Menschen haben die für das Heute, so sieht es Paulus. Fürsorge meint eher ein bewusstes und achtsames Hören auf die Bedürfnisse der anderen, in besonderer Weise der Schwächeren. In Korinth ging es dabei ganz konkret um die Würde der Armen. Die oberen Schichten verachteten die unteren, die Handarbeiter.

Fürsorge ist auch eine zentrale Aufgabe der Familie in allen praktischen Alltagsfragen, aber ebenso in der verantwortlichen Sorge für die, die sie besonders brauchen. „Care-Arbeit“ nennt man dies heute. In einer Gesellschaft, in der ein hoher Erfolgsdruck auf der mittleren Generation liegt, wird die Care-Arbeit zunehmend von professionellen Fachkräften übernommen. Oft fehlt das Bewusstsein dafür, dass Care-Arbeit ein Geben und Nehmen ist, dass Krankenschwestern, Pfleger, Erzieherinnen und Küchenhilfen in der Großküche Arbeitsbedingungen brauchen, die ihre Würde achten und ihnen verlässlichen Rückhalt bieten.

Die Fürsorge für andere ist weit mehr als eine reine Familienangelegenheit. Sie ist ein Gestaltungsauftrag für die Gesellschaft und grundlegend für ihren Zusammenhalt.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 12. Mai 2016 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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Ursula Schoen ist Dekanin im Dekanat Mitte-Ost.