Zwischen künstlerischem Schaffen und Spiritualität gibt es eine Verbindung – davon war nicht nur Joseph Beuys überzeugt.
„Es kommt nicht so sehr darauf an, was wir malen, sondern dass wir sie wieder spüren, die kindliche Versunkenheit in das, was wir tun.“ – Vor einiger Zeit las ich diesen Satz; jetzt hängt er bei mir an der Wand und schwebt über Acryl- und Aquarellfarben, Zeichenblöcken, Leinwänden und Pinseln in dem kleinen Malzimmer, das ich mir eingerichtet habe. Zurzeit benutze ich es oft, weil ich Studienurlaub habe und mich mit dem Thema „Künstlerisches Gestalten als Quelle der Kraft und Inspiration“ beschäftige.
In meinem Schaffen ist es mir, ehrlich gesagt, ganz und gar nicht egal, was ich male, sondern ein Bild soll gelingen, es soll auch andern gefallen und sich vielleicht sogar verkaufen. Ich nehme an Malkursen teil, um mein Gestaltungsrepertoire zu erweitern, und es schmerzt mich, wenn ich Dinge sehe, die ich gerne malen würde, es aber nicht kann. Dennoch mache ich die Erfahrung, dass es mir, anders als bei anderen Tätigkeiten, beim Malen eher leicht fällt, in einen Zustand von Versunkenheit zu kommen, in dem alle störenden Gedanken schweigen, ich auftanken kann und so etwas erlebe, wie „zur Mitte finden“.
Einerseits überrascht mich das, und ich frage mich, wie es sein kann, dass ich im kreativen Schaffen fast spielerisch etwas finde, das ich in der Meditation, in Stille- und Gebetszeiten oft vergeblich suche. Andererseits überrascht es mich auch wieder nicht. Spiritualität verstehe ich als Lebenshaltung, die mit dem Wirken des Geistes rechnet und dieses Wirken sucht. In schlichter und direkte Weise spielt das beim Malen eines Bildes von der Idee bis zur Vollendung eine Rolle: sich konzentrieren und leer werden, der eigenen Eingebung vertrauen und folgen, offen bleiben für das Unerwartete, Überraschende, schauen, wohin mich mein Bild „führen“ will, eine Versunkenheit im eigenen Tun erleben, die irgendwie auch über das Geschehen im Moment hinausweist.
„Warum Kunst?“ fragt die Künstlerin Dina del Santo (gespielt von Juliette Binoche) in meinem derzeitigen Lieblingsfilm, der auch im Deutschen den Titel „Words and Pictures“ trägt. Sie führt weiter aus: „Wären unsere Sinne und unser Bewusstsein vollständig im Einklang mit der Natur, könnten wir kommunizieren und uns gegenseitig verstehen, dann gäbe es keine Notwendigkeit für Kunst. Tatsächlich wären wir dann alle Künstler, weil wir alle eins wären.“ Liegt im Malen vielleicht ein Vorgeschmack, eine Ahnung von diesem Eins-Sein? Für Joseph Beuys, der mit jeder Faser seines Lebens und Wirkens Kunst und Spiritualität als untrennbare Einheit sah und lebte, besteht „die gesamte Welt aus verstreuten ‚göttlichen Funken‘, die einst zu einem großen ‚Urlicht‘ gehörten und jetzt durch unsere Meditation wieder zu dieser verlorenen Einheit zusammengefügt werden wollen. Alles ist verbunden durch seinen gemeinsamen Ursprung in einem höheren kreativen Geist, den man wieder erkennen muss.“
Und wie kann man diesen „höheren, kreativen Geist“ am besten erkennen? Indem die Menschen ihr kreatives Potenzial entdecken und fördern, meint Beuys. Ja, im kreativen Potenzial verwirklichen Menschen erst ihr Menschsein; darin liegt ihre Gottesebenbildlichkeit, könnte man theologisch sagen. Wir sind dabei unvollkommen, und dieses „Fragmentarische“, sagt Beuys weiter, „muss man anschauen und dann weitergehen, sich ergänzen lassen vom andern“.
Kunst und künstlerisches Gestalten bekommen so einen Stellenwert, der es niemandem mehr erlauben sollte, diese Fächer in der Schule auszulassen oder Gelder für Kunstprojekte zu streichen. Auf jeden Fall liefern mir diese Überlegungen eine Erklärung für die gute Kraft, die ich bei mir selbst und anderen erlebe, wenn Malen der eigenen Spiritualität Raum gibt und sie wachsen lässt.