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Von – 18. August 2016

„Mir geht es darum, dem Phänomen Religion gerecht zu werden“

Dreißig Jahre lang hat Meinhard Schmidt-Degenhard die Sendung „Horizonte“ im Hessenfernsehen moderiert, nun lief die letzte Sendung, und Ende September geht der 59-Jährige in Altersteilzeit. Kurt-Helmuth Eimuth hat ihn zum Abschied interviewt.

Mann mit Horizonten: Meinhard Schmidt-Degenhard in seinem Büro im Hessischen Rundfunk. Foto: Thomas Rohnke/epd-Bild

Mann mit Horizonten: Meinhard Schmidt-Degenhard in seinem Büro im Hessischen Rundfunk. Foto: Thomas Rohnke/epd-Bild

Sie haben im Hessenfernsehen dreißig Jahre lang Sendungen zu religiösen Themen verantwortet und moderiert. Was hat sich in den drei Jahrzehnten verändert?

Abgenommen hat die Bedeutung von ‚Kirche‘ für das gesellschaftliche Miteinander hierzulande, aber auch für das je persönliche Leben; gewachsen ist hingegen die Bedeutung von Religion für das politische und soziale Miteinander auf diesem Planeten. Die These vom allmählichen Verschwinden der Religion, der wir in den achtziger Jahren erlegen sind, trifft nicht zu: Religion ist global nie wirklich zurückgegangen! Wir Menschen in der westlichen Welt sind spätestens durch die Ereignisse um 9/11 daran erinnert worden, dass Religion eine entscheidende und treibende Kraft ist für das menschliche Zusammenleben. Meine Grundthese nach 30 Jahren: „Du kannst die Welt nicht verstehen ohne die Religion(en) – ohne um das zu wissen, was die Menschen zu ihrem Gott erklären.“

Geht es heute nicht um das Miteinander der Religionen?

Mir geht es bei alldem zunächst darum, dem Phänomen Religion gerecht zu werden. Das, was diesen Planeten durcheinanderwirbelt, kann ich nicht begreifen, wenn ich nicht um das weiß, was den Menschen heilig ist. In einem zweiten Schritt versuche ich das Gespräch zwischen den Religionen zu verstehen: Was läuft da gerade ab? Welche Themen kristallisieren sich heraus? Wir Journalisten sind kritische Beobachter des Dialogs oder de facto des Trialogs der Religionen. Die Kernfrage lautet schlicht: Wenn’s denn einen Gott gibt, dann kann es doch eigentlich nur einen geben … oder? Wie aber dann umgehen mit den realen kulturellen Unterschiedlichkeiten? Was kann man daraus lernen, um das globale wie lokale Miteinander besser zu verstehen?

Sie gehören keiner Kirche an. Das ist ungewöhnlich für einen Kirchenredakteur.

Das hat zugegeben eine Menge frommer Geister verwirrt – kann ich sogar verstehen. Für mich war es eine persönliche Entscheidung. Das heißt aber nicht, dass Religion für mich keine Rolle spielt: Die Ebene der Transzendenz, die religiös-philosophischen Fragen sind mir für mein Leben unverzichtbar. Aber je mehr ich mich – auch beruflich bedingt – bei aller kritischen Sympathie mit dem Phänomen ‚Kirche‘ beschäftigt habe, umso mehr bin ich auf Distanz gegangen.

Die Kirchen sind privilegiert. Auch in den öffentlich-rechtlichen Anstalten, beispielsweise mit einer Kirchenredaktion. Ist das noch zeitgemäß?

Wenn wir in die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems schauen, so stellten sich die Kirchen für die Alliierten nach 1945 als wichtige Vertrauenspartner dar. Sie galten, wenn auch nicht immer zu recht, als jene Institutionen, die in den Jahren der Nazi-Diktatur Horte des Widerstands waren. In den Jahren des demokratischen Wiederaufbaus kam den Kirchen wie den öffentlich-rechtlichen Anstalten qua Gesetz eine besondere Bedeutung haben. Rundfunkpolitisch waren und sind (!) die Kirchen einflussreiche Player. Aber beide Institutionen – Kirche wie öffentlich-rechtlicher Rundfunk – müssen zugleich einen immensen Vertrauensverlust vergegenwärtigen, müssen sich selbstkritisch auf die Ursachen hin befragen. Unsere Programmarbeit hat sich in den vergangenen Jahren geöffnet, weg von explizit kirchlichen hin zu allgemein religiösen, religionspolitischen Themen, aber auch hin zu muslimischen Partnern. Aber de facto sind die Kirchen immer auch noch privilegierte Lobbyisten im Rundfunk, in diesem Land – das prägt schon die Republik. Die Kirchen tun gut daran, darüber nachzudenken, ob all diese gesellschaftlichen Privilegien noch gerechtfertigt sind, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder eines Tages unter 50 Prozent sinkt – und dieser Tag ist absehbar. Auf der anderen Seite möchte ich als Journalist aber auch der Gesellschaft die Frage stellen: Was wird das für eine Gesellschaft sein, in der die Kirchen keine oder nur noch eine geringere Bedeutung haben? Wie steht es um die soziale Realität, um den ethisch-moralischen Diskurs in der Gesellschaft, wenn wir die Institutionen der Kirchen nicht mehr haben, egal wie auch immer wir ihre Privilegien beurteilen?

Sie haben in der Sendung im Wesentlichen den Dialog zwischen Theologie und Wissenschaft, zwischen Gesellschaft und Philosophie dargestellt und nicht die Berichterstattung über Kirche.

Die Medienforschung hat uns nüchtern gezeigt, dass die Menschen ganz selten an Themen aus dem direkten kirchlich-religiösen Leben interessiert sind. Ob und welche der großen Kirchen mal wieder einen Finanz-Fehler begangen hat, ob es in Limburg oder Nordhessen mal wieder einen Skandal gibt … oder auch nicht – das nutzt sich ab, hat kein wirkliches Erregungspotenzial mehr. Was die Menschen tief drinnen interessiert, sind die Grundfragen unseres Zusammenlebens, die Grundfragen unserer individuellen wie kollektiven Existenz. Und da kommen wir rasch an die religiösen Grundfragen heran, an das, was wirklich zählt im Leben. Die Kirchenkrisen sind nicht das Problem unserer Zeit – es geht letztlich um die Gotteskrise: Wie buchstabieren die Menschen heute die religiösen Fragen? Was stellen sie sich unter dem Synonym ‚Gott‘ vor? Wie sind Wissenschaft und tradierter Glaube vereinbar?

Was raten Sie den Kirchen angesichts des Traditionsabbruchs und einer verstärkt säkular aufwachsenden Generation?

Den Menschen auch intellektuell ernstnehmen! Es führt kein Weg vorbei an der  Aufklärung – konkret das Kant’sche Quartett: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Und da sind wir mitten drin in den existentiell berührenden Fragen. Und diese Fragen erst einmal nur auszuhalten statt mit frommen Phrasen daherzukommen, kann den Kirchen und somit den Menschen nutzen.

Und was machen Sie jetzt nach dem Ausscheiden aus dem Hessischen Rundfunk?

Ich habe jetzt recht früh mit 59 Jahren aufgehört, dank der Möglichkeiten, die der HR mir bot. Aber ich habe aufgehört, um Neues zu beginnen. Ich werde in den nächsten Jahren mit Stiftungen und Bildungseinrichtungen zusammenarbeiten, als Moderator, aber auch als Coach und Interviewtrainer. Und das Thema Religion bleibt in jeder Hinsicht mein Lebensthema.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 18. August 2016 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe , .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Friedrich Peter Niebling schrieb am 18. September 2016

    Zum Kant’sche Quartett: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Zeitgemäß sind die Fragen: Was will ich wissen? Was will ich tun? Was erlaube ich mir zu hoffen? Wie funktioniert der Mensch? Vor allem, wie funktioniere ich? Finde ich letzteres wenigstens in etwa heraus, fallen Vorwürfe und Verurteilungen mir selbst und anderen gegenüber weitgehend weg. Und in Folge so mancher, vielleicht gar nagender Gewissensbiss oder ersatzweise eine energieraubende Rechtfertigung meiner Verurteilungen.

  • Friedrich Peter Niebling schrieb am 18. September 2016

    Ich werde dem Phänomen Religion gerecht, wenn ich es nicht allein auf die Lehre der Weltreligionen beziehe, sondern ebenso auf deren Funktionen. Und das mit dem einen Gott? Gott kann nur so existieren, wie Menschen ihn installieren. Anders sind die Glaubenskriege respektive die kulturellen Unterschiedlichkeiten nicht erklärbar.
    Jedwede Religion bekam immer schon, und bekommt immer noch –gleich einer Ideologie- seine politische und soziale Bedeutung in dem Maße, in dem Menschen an ihr – gekoppelt an ihren Ängsten- gebunden waren und sind. Die Tragik ist, dass –wer immer auch welche Religion hervorgebracht hat- diese dem Heil verschriebenen Rückbindungen, immer auch Unheil hervorbringen. Und immer weiter hervorbringen müssen, weil die Einsicht in die, dieser Tragik beiliegenden Belehrungen, kaum gesehen werden will und kann, und die Fundamente unseres Seins, respektive unsere mühsam erworbene Identität in Frage stellen könnte. Es stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß die Geschehnisse unser Leben noch in Frage stellen müssen, damit unser Wille zu einer heilsamen Veränderung stark genug ist, den Rahmen unserer Sicht von uns und Gott zu überschreiten, also mehr Bewusstheit über die Hintergründe unseres Handelns –zum Beispiel unserer Ängste- zu erwerben? Und so stellt sich auch die Frage, in welchem Ausmaß treiben die Geschehnisse –global und in Kuhblitzobersdorf- mich und meine Leidensgenossen und die Fröhlichen dazu, unser religiöses oder auch ideologisches Netz zu festigen oder gar noch enger zu spinnen. In Anlehnung an Herrn Meinhard Schmidt-Degenhards Grundthese, „Du kannst die Welt nicht verstehen ohne die Religion(en) – ohne um das zu wissen, was die Menschen zu ihrem Gott erklären“ sage ich: Ich kann ohne das Wissen darüber, was für die Menschen -erklärt oder unerklärt, bewusst oder nicht- der die das Größte ist, an was also sie sich binden oder gebunden werden, das Geschehen auf dieser unserer aller Welt nur schwerlich verstehen.