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Von – 19. Oktober 2016

Winzige Signale: Auch Menschen im Koma kommunizieren

Ist es möglich, mit Menschen, die im Koma liegen, zu kommunizieren? Die Theologin und Musikpädagogin Ursula Mühlberger ist davon überzeugt. Wichtig sei vor allem, der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen.

Ursula Mühlberger bei ihrem Vortrag im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Foto: Doris Stickler

Ursula Mühlberger bei ihrem Vortrag im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum. Foto: Doris Stickler

Ihre im Koma liegende Schwester hatte Ursula Mühlberger schon oft besucht. Aber der Versuch, durch Berührungen Kontakt aufzunehmen, blieb ohne Erfolg. Irgendwann kam die Leiterin des Frankfurter Frauenchors „Amanda Taktlos“ auf die Idee, am Bett zu singen. Um sicher zu gehen, auch gehört zu werden, tat sie das besonders laut. Und anders als sonst konnte Mühlberger bei ihrer Schwester nun eine Reaktionen wahrnehmen: ein deutlich verstärktes Atmen. Allerdings spürte sie auch, dass dies kein Zeichen der Zustimmung war. Tatsächlich beruhigte sich der Atem der Schwester wieder, als sie die Lautstärke senkte.

Diese Beobachtung war für Ursula Mühlberger ein Schlüsselerlebnis. Es verschaffte ihr die Gewissheit, dass man mit Menschen im Koma kommunizieren kann. Um mehr darüber zu wissen, fing die Theologin und Musiktherapeutin an zu recherchieren und stieß auf die prozessorientierte Psychologie. Deren Begründer Arnold Mindell untersucht jene Ebenen der Verständigung, die gewöhnlich durch das Raster klassischer Kommunikationsansätze fallen. In seinem Buch „Schlüssel zum Erwachen“ beschreibt Mindell, wie man Menschen im Koma erreichen und ihnen beistehen kann.

Im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum vermittelte Mühlberger ihre im Lauf von zwanzig Jahren gewonnenen Einsichten nicht nur theoretisch, sondern auch mit praktischen Übungen, die vor allem um das Atmen kreisten. So übten die Teilnehmerinnen unter anderem, wie sie im Rhythmus der Atemfrequenz des im Koma liegenden Menschen sprechen können. „Auf die Frequenz des Atems einzugehen ist der wirksamste Weg, Kontakt aufzunehmen“, sagt Mühlberger. „Die komatöse Person spürt dadurch die Anwesenheit und fühlt sich begleitet.“ Als wesentlichen Faktor für den sprachlosen Dialog stuft sie überdies die Fähigkeit ein, subtile Feedbacks zu erkennen. „Wir müssen lernen, unserer eigenen Wahrnehmung zu vertrauen.“ Zumal zur Sprache des Komas ebenso Atemmuster und Bewegungen wie Veränderungen der Hautfarbe oder Muskelreaktionen gehörten.

„Selbst winzige Signale wie das Zucken eines Augenlids können das Tor zur Kommunikation mit einem komatösen Menschen sein“, sagte Mühlberger. Um die Kommunikation mit Menschen in reduzierter Wachheit und Komazuständen zu verbessern, seien „Gefühle ein wichtiges Werkzeug“. Zudem sollte man „auf sensible Weise und mit Ankündigung körperliche Nähe schaffen“. Weil es in diesen Bereich keine Patentrezepte gibt, könne sie insgesamt nur raten: „Benutzen Sie gesunden Menschenverstand.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 19. Oktober 2016 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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