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Von – 24. November 2016

Nein heißt nein. Und weiter?

Die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal sprach im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum über den gesellschaftlichen Umgang mit Vergewaltigung.

Mithu M. Sanyal untersuchte die gesellschaftlichen Debatten über Vergewaltigung. Im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum stellte sie ihr Buch vor.

Mithu M. Sanyal untersuchte die gesellschaftlichen Debatten über Vergewaltigung. Im Evangelischen Frauenbegegnungszentrum stellte sie ihr Buch vor. Foto: Edition Nautilus

Das Datum, zu dem das Evangelische Frauenbegegnungszentrum EVA in der Frankfurter Saalgasse die Autorin Mithu M. Sanyal eingeladen hat, über das Thema Vergewaltigung zu sprechen, ist kein Zufall: der 23. November. Zwei Tage später ist der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen, für den sich Feministinnen weltweit die Farbe Orange ausgesucht haben. Auch im EVA leuchtet einiges orange an diesem Abend: Flugblätter, Fensterschmuck, Schals. Unter dem Hashtag #orangetheworld beteiligt sich EVA an der Initiative „16 Tage des Aktivismus“, die am 10 Dezember, dem Tag der Menschenrechte, enden.

Mithu M. Sanyal, Jahrgang 1971, ist Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, soeben hat sie das Buch „Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens“ veröffentlicht. Sie berichtet den Zuhörerinnen, wie auch sie im Sommer 2016 vor dem Fernseher saß, um die Bundestagsdebatte unter dem Titel „Nein heißt nein“ live zu verfolgen – und sich über die Einmütigkeit zu freuen, mit der der Bundestag die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen hat.

Nein heißt nein: Darin sind sich also alle einig. Aber wie geht es weiter? Wie reden wir als Gesellschaft über das schwierige Thema Vergewaltigung? Was bedeuten sexuelle Selbstbestimmung und Konsens? Und welche Debatte müsste sich jetzt an die Reform des Paragraphen 177 des Strafgesetzbuches anschließen? „Die Art, wie wir über Vergewaltigung denken, steht in einem erschütternden Verhältnis zu der Art, wie wir über Sex denken – und damit sind Sexualität und Geschlecht gleichermaßen gemeint“, sagt Sanyal. Und berichtet darüber, dass es nicht leicht gewesen sei, einen Verlag zu finden, der ein Buch über Vergewaltigung in sein Programm aufnehmen wollte. Schließlich hat es geklappt, die Edition Nautilus hat ihr Werk verlegt.

Sanyal zeichnet in einem packenden Vortrag nach, wie Gesellschaften in Vergangenheit und Gegenwart über Vergewaltigung kommunizieren. „Beim Sprechen über sexuelle und sexualisierte Gewalt halten sich hartnäckig die Vorstellungen von aktiver, aggressiver Männlichkeit und passiver, bedrohter Weiblichkeit“, sagt sie. Das gebe nicht immer die Realität wieder. „Die Gesellschaft erwartet von einem Vergewaltigungsopfer, dass es fürs Leben traumatisiert sei. Diese Erwartungshaltung erschwere aber die Heilung. Menschen sollten selbst entscheiden dürfen, wie sie sich verletzt fühlten.“

Mithu M. Sanyal zeichnet in ihrem Vortrag faktenreich, lebendig und plausibel nach, wie nicht nur Ideen aus der Nachkriegszeit, sondern gar jahrtausendealte Vorstellungen über männliche und weibliche Geschlechterrollen unterbewusst weiterwirken, sobald wir über sexualisierte Gewalt sprechen.

Bereits Aristoteles sei von einer „größeren inneren Hitze“ des Mannes ausgegangen, während die Frau für ihn stets in einem unfertigen Stadium blieb – intellektuell, aber auch sexuell. Ein Gedanke, der etwa bis ins 19. Jahrhundert fortwirkte – auch in der Idee des galanten Gentlemans, der die Frau umwirbt, letztlich aber überwältigt. Und einer, der noch heute etwa in Frauenmagazinen zu finden ist, wenn diese ihren Leserinnen als Flirttechnik anraten, sich rar zu machen, um bloß nicht zu sexuell interessiert zu wirken.

Überhaupt haben Sanyal zufolge viele überkommene Geschlechtervorstellungen überlebt, zum Beispiel das Bild vom sexuell allzeit bereiten Mann und der desinteressierten Frau, die nur dem Mann zuliebe dem Drängen irgendwann nachgibt. Diese Vorstellung finde ihren Niederschlag auch in der gegenwärtigen Diskussion zur Vergewaltigungsprävention: „Also, Mädchen sollen lernen, nein zu sagen. Jungen sollen lernen, das Nein zu akzeptieren. Aber auch Mädchen haben sexuelle Bedürfnisse, auch Jungen wollen nicht alles penetrieren, was nicht bei drei auf dem Baum ist.“ Insofern plädiert Sanyal dafür, stattdessen an Schulen Konsenstraining zu machen. „Wir müssen kommunizieren lernen. Und auch lernen, überhaupt wahrzunehmen: Was wollen wir? Und dann auch unsere Grenzen anzunehmen.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 24. November 2016 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.