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Aktuell

1. Februar 2007

„Gandhi ohne Bergpredigt nicht denkbar“

Symposium des Evangelischen Bundes über die Möglichkeit, zwei Religionen zu haben

Als Frankfurter Integrationsdezernent hatte sich Albrecht Magen die multikulturelle und multireligiöse Vielfalt zum Anliegen gemacht. Ein vom Evangelischen Bund im Dezember organisiertes Symposium zum Thema „Kann ein Christ auch Hindu sein?“ war einer der letzten Termine vor seinem unerwarteten Tod.

Foto: Genthe

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Auf die Frage nach der „multiplen religiösen Identiät zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ hatte der CDU-Politiker eine pragmatische Antwort parat. Das Christentum sei selbst eine „Mischreligion“, die sich in ihrer Frühzeit noch als jüdische Sekte verstand und seither von diversen Strömungen durchdrungen wurde. Das multireligiöse Miteinander werde nur gelingen, wenn „wir uns gegenseitig akzeptieren wie wir sind“, so Magen. In Frankfurt seien immerhin ein gutes Drittel aller Lebenspartnerschaften gemischt-religiös.

Rund 3600 Menschen aus Indien und Sri Lanka sind in Frankfurt ansässig, doch nicht alle davon sind Hindus. Andererseits gibt es auch Deutsche hinduistischen Glaubens. Die fünf hinduistischen Kulturvereine der Stadt werden von Gläubigen aus der gesamten Rhein-Main-Region besucht, je eine davon wurden von Afghanen, Bengalen und Tamilen gegründet.

Da er kein einheitliches Dogma hat, gibt es gerade im Hinduismus viel Raum für kulturelle Eigenheiten und verschiedene Gottesvorstellungen. Doch auch die Schrift­ religion Christentum weist eine große Bandbreite auf. So hat Luise Vogel, die beim Symposium ihre Forschungen zum Thema „Können Christen Hindus sein?“ veostellte, auch „keine zwei Christen gefunden, die das Gleiche glauben“.

Außen unauffällig, innen typisch buddhistisch: Die Pagode Phat Hue der Deutsch-Vietnamesischen Buddhistischen Gemeinde in der Hanauer Landstraße 443 war eines der religiösen Zentren, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums über „multiple religiöse Identitäten“ besucht haben. | Foto: Genthe

Außen unauffällig, innen typisch buddhistisch: Die Pagode Phat Hue der Deutsch-Vietnamesischen Buddhistischen Gemeinde in der Hanauer Landstraße 443 war eines der religiösen Zentren, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums über „multiple religiöse Identitäten“ besucht haben.
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Archimandrit Irenäus Totzke, Benediktinermönch nach ostkirchlichem Ritus, wies darauf hin, dass zum Beispiel Mahatma Gandhis Weg des gewaltfreien Widerstands „ohne die Bergpredigt nicht denkbar“ gewesen wäre. Dieser Text aus dem Matthäus­ evangelium habe die Gesinnung des indischen Freiheitskämpfers wesentlich geprägt. Auch Ulrich Dehn, Professor für Religionswissenschaft an der Uni Hamburg, geht davon aus, dass es „tatsächlich christliche Hindus und hinduistische Christen“ geben könne. Ein bekanntes Beispiel sei der Religionsphilosoph Raimon Panikkar, dessen Glauben von der katholischen Mutter ebenso beeinflusst worden sei wie vom hinduistischen Vater. Ihm selbst sei es zwar eine „Herzensangelegenheit, die monoreligiöse Existenz zu empfehlen“. Multiple religiöse Identiäten gehörten jedoch zu einer „sich plural mischenden Welt“.

Nicht ohne Grund sei das Phänomen zum Boom-Thema in wissenschaftlichen Debatten avanciert, so Dehn. Da immer mehr Menschen in bireligiösen Familien lebten, führe kein Weg daran vorbei, über die Glaubensidentität „völlig neu nachzudenken“. Hinter multiplen religiösen Identiäten hat Dehn an der Uni Hamburg mehrheitlich „Menschen mit großer Redlichkeit“ausgemacht.Wer sich der Suche aussetzt, beschreite keinen einfachen Weg. In den großen Kirchen dagegen verzeichne er eine zunehmend „unverbindliche Volksfrömmigkeit“, in der die unterschiedlichsten Elemente durcheinander gewürfelt würden.

Wo Yoga- oder Meditationskreise in vielen Kirchengemeinden zum festen Repertoire gehören und die Deutschen – obwohl sie doch „alle Papst sind“ – den Dalai Lama zum glaubwürdigsten Vorbild der Gegenwart wählen, hält der Theologe und Publizist Werner Thiede „jeden religiösen Pluralismus für legitim“. Es gebe genug Beispiele dafür, dass sich multiple Identitäten wie etwa zwischen Christentum und Buddhismus gut zusammenfügen. Bei solchen Synthesen seien allerdings „Abweichungen zum biblischen Menschenbild“ nicht zu ver­ meiden. Wer sich als Christ bezeichne, sollte sich seiner Meinung nach auch zu theologischen Grundaussagen wie der Dreieinigkeit bekennen.

In Anbetracht der starken Abgrenzungen verschiedener christlicher Strömungen voneinander hält Luise Vogel jeden Abso­ lutheitsanspruch für ein Paradox, das nur in eine Sackgasse führen könne. „Wir wissen so vieles nicht“, gab sie zu bedenken: Ob ein Christ abtreiben darf, ob Evangelikale noch zur Landeskirche zählen, oder eben auch, ob Christen gleichzeitig Hindus sein können. Für ihre Forschungsarbeit wurde der 28jährigen Theologiestudentin vom Evangelischen Bund Hessen-Nassau der diesjährige Hochschulpreis verliehen.

Doris Stickler

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Februar 2007 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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