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Von – 23. Februar 2017

Antijudaismus und Antisemitismus sind noch nicht überwunden

Antisemitismus – gibt es das überhaupt noch? Sicher nicht offen, aber verdeckt durchaus. „Strategien gegen Judenfeindlichkeit“ war das Thema eines jüdisch-christlichen Podiums im Vorfeld der Woche der Brüderlichkeit.

„Wie gehen wir mit einem Problem um, das vordergründig nicht existiert?“ fragte Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank. Denn Antisemitismus, darin war man sich auf dem Podium im Dominikanerkloster einig, ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht verschwunden. Mentalitätsstrukturen ändern sich so schnell nicht, Antisemitismus sei immer noch latent vorhanden, so Pfarrer Werner Schneider-Quindeau, der das Podium im Vorfeld der „Woche der Brüderlichkeit“ moderierte, die dieses Jahr am 5. März mit in der Frankfurter Paulskirche eröffnet wird.

Was sich allerdings geändert hat: Heute muss Antisemitismus einen kommunikativen Umweg nehmen. Im nationalsozialistischen Deutschland war Judenfeindlichkeit ein „kultureller Code“, mit dem offen Haltung bezogen wurde, sagte Meron Mendel. Es war eine akzeptierte Position, die man nicht verstecken musste. Heute hingegen ist Antisemitismus als solcher nicht mehr salonfähig. Niemand würde sich selbst so bezeichnen. Aber es gibt Mechanismen, hinter denen Antisemitismus verdeckt auftritt: Zum Beispiel als eine Form der Schuldumkehr, wenn etwa Geschehnisse in Gaza mit Auschwitz verglichen werden oder Israels Haltung gegenüber Palästina mit der der Nationalsozialisten gegenüber Juden gleichgesetzt wird.

Warum müssen immer Juden den Antisemitismus erklären?

Kritik an Israel sei das eine, sagte Rabbiner Avichai Apel von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, religiöser Antisemitismus etwas anderes. Das zeige sich etwa in der Debatte um die Beschneidung: Hier werde unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit das Fundament des Judentums, das Herz der Religion, angegriffen. Dem könne man, anders als im Fall von Israelkritik, auch nicht einfach mit einem argumentativen Standpunkt begegnen. Grundsätzlich sei die Frage zu stellen, ob es immer Juden sein müssten, die klären, was Antisemitismus ist und wie man ihn bekämpfen kann. Denn die Frage, wie eine liberale Gesellschaft entstehen kann, gehe doch alle etwas an. Er habe kein Interesse daran, „Erlebnisse aus der Opferperspektive zu erzählen“. Sein Interesse sei lediglich, unbehelligt leben zu können.

Anlass für die Podiumsdiskussion war eine Erklärung, mit der sich die Stadtsynode der Evangelischen Kirche Frankfurt im Dezember noch einmal ausdrücklich gegen Judenfeindlichkeit und Rassismus in Frankfurt positioniert hat. Darin bezieht sie sich auch auf den vor 25 Jahren geänderten Zusatzartikel der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, in dem etwa die „bleibende Erwählung der Juden“ bekannt wird. Doch Schulpfarrerin Carola Krieg und Stadtdekan Achim Knecht äußerten sich durchaus auch selbstkritisch: Noch immer sei es nicht zwingend, dass angehende Theologinnen und Theologen fundierte Kenntnisse der jüdischen oder anderer Religionen erwerben. Das Hauptwerk der evangelischen Dogmatik nehme bis heute keinerlei Bezug auf das Judentum, und auch in den Religionsunterricht und die Gemeinden habe der interreligiöse Dialog nicht ausreichend Eingang gefunden.

Unterschiede nicht künstlich mit Bedeutung aufladen

Umso wichtiger sei es, Begegnungen zu haben und zu ermöglichen. Dazu bieten die Stadtgesellschaft und die Kirche Anknüpfungsmöglichkeiten – vom Schulaustausch mit Israel über das Stolpersteinprojekt, in dem an von den Nationalsozialisten ermordete Frankfurterinnen und Frankfurter erinnert wird, Projekte im Konfirmationsunterricht, gemeinsamen Sport, der interreligiösen Chor und vieles mehr. Meron Mendel gab jedoch zu bedenken, dass nicht wohlmeinende pädagogische Formate sondern ungezwungenes Zusammenleben das erfolgversprechendste Begegnungsprojekt seien. Sonst bestehe nämlich die Gefahr, dass durch zu viel „Bearbeitung“ des Themas die Differenzen eher noch mit Bedeutung aufgeladen und zementiert werden, anstatt abgebaut.

Rabbiner Apel betonte zudem, wohl auch im Hinblick auf die Tatsache, dass die Jüdische Gemeinde ihren Sitz im Rat der Religionen seit geraumer Zeit ruhen lässt, dass der gemeinsame Alltag den Dialog auch beschränken kann, und dass ein Rückzug aus dem Alltäglichen den Eintritt in einen vertieften Dialog zuweilen gerade ermöglichen kann.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 23. Februar 2017 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Werner Hellwich schrieb am 23. Februar 2017

    Hinter einer Kritik an religiöser Beschneidungspraxis verdeckten Antisemitismus zu befürchten, hinterläßt einen Leser sprachlos