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Von – 22. März 2017

Entsetzliches Erbe: Was tun mit Luthers Antisemitismus?

Dass Luther Antisemit war, ist eindeutig. Aber war er das nur im damals üblichen Ausmaß, als Kind seiner Zeit, oder muss er als Vordenker und besonders eifriger Vertreter gelten? Eine neu aufgelegte Originalschrift wirft Licht auf den Judenhass des Reformators.

Illustration: Meik Krick

„Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zu völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“

Das schrieb der evangelisch-lutherische Landesbischof Martin Sasse aus Eisenach im Vorwort zu seiner Schrift „Martin Luther und die Juden – weg mit ihnen!“, die 1938 erschien. Auch weitere prominente Nationalsozialisten, darunter Adolf Hitler selbst, bezogen sich in ihrem Judenhass auf Luther.

Dass Luther wie viele seiner Zeitgenossen im Mittelalter ausdrücklich Antisemitisches geschrieben und gesagt hatte, wissen die meisten Menschen. Es ist auch innerhalb der evangelischen Kirche ein immer wieder diskutiertes Thema. Doch welches Ausmaß der Judenhass des 2017 besonders Gefeierten hatte, zeigt eine kommentierte Originalausgabe von Luthers 1543 entstandener Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“. Welches Erbe hat Luther damit hinterlassen?

Wie soll die Kirche, wie sollen jüdische Verbände damit umgehen, wenn allerorts das 500. Jubiläum der Reformation zelebriert wird?

„Dokument der Schande“

Die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ nennt der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, einen „abstoßenden Text“. Auch meint der EKD-Vorsitzende, dass „ein rein historisierendes Verständnis“ nicht ausreiche. Eine offene Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus Martin Luthers sei heute unumgänglich. Die zitierte Bewertung Bedford-Strohms entstammt dem Geleitwort zur Neuausgabe der Lutherschen Schrift, die jetzt bei Berlin University Press erschienen ist. Es handelt sich um eine Neubearbeitung des Luthertextes, versehen mit einer gründlichen Kommentierung – beides stammt vom Tübinger Judaisten Matthias Morgenstern.

Auch Morgenstern betont die Notwendigkeit, dieses „Dokument der Schande“ in einer ungekürzten Fassung neu herauszugeben: „Im Vorfeld des Reformationsjubiläums muss im Hinblick auf den Sachverhalt Luther und die Juden wirklich alles auf den Tisch. Damit ist die Erwartung verbunden, etwas von der Entstehung und von den Konstitutionsbedingungen des modernen Antisemitismus zu begreifen – und zugleich vom Zusammenwirken dieses Antisemitismus mit der aus christlicher Tradition ererbten Judenfeindschaft.“ Er spricht in diesem Zusammenhang von „seit dem 16. Jahrhundert in das evangelische Christentum eingegangenen Lebenslügen“.

Luther bezichtigte die Juden in seinem Werk der Verstocktheit, warf ihnen vor, sie seien elend, Lügner und Bluthunde, rachgierig und mörderisch. Er gebot, Synagogen und Schulen von Juden in Brand zu stecken, ihre Häuser zu zerstören und ihnen den Talmud wegzunehmen, in dem der Reformator ohnehin nur ein Buch „voller Lügen und Verdrehungen“ sah. Den Rabbinen möge man, schrieb Luther weiter, bei Leib und Leben verbieten, hinfort zu lehren. Man solle die Juden „wie die tollen Hunde ausjagen“, ihnen alles Geld nehmen und schließlich zusehen „daß man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brod verdienen im Schweiß der Nasen“.

Mehr als dunkle Flecken in einer sonst ehrenwerten Biografie

Es entsteht beim Lesen der Eindruck, dass es sich bei Luthers Judenhass durchaus um mehr als einzelne dunkle Flecken einer ansonsten ehrenwerten Biografie handelt. Sein Verhältnis zu den Juden ist auch das Thema seiner letzten Kanzelabkündigung am 15. Februar 1546 in Eisleben, drei Tage vor seinem Tod, wo er etwa forderte: „Darum sollt ihr Herren sie nicht leiden, sondern wegtreiben.“ Bei seinen berühmten Tischreden wetterte Martin Luther ebenfalls: „Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinab stoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams“: Diese Gewaltphantasie gab der Reformator in seiner Tischrede Nr. 1795 zum Besten, die sich an den Theologen Justus Menius richtete.  Ein entsetzliches Erbe.

In einer bereits vorletztes Jahr in Bremen abgehaltenen Versammlung distanziert sich die EKD-Synode ausdrücklich von den judenfeindlichen Aussagen Luthers und anderer Reformatoren. Luthers Empfehlungen zum Umgang mit Juden seien widersprüchlich und hätten Schmähungen und Forderungen nach vollständiger Entrechtung und Vertreibung der Juden eingeschlossen. „Im Vorfeld des Reformationsjubiläums können wir an dieser Schuldgeschichte nicht vorbeigehen“, heißt es in dem Text.

Weitreiches Versagen der evangelischen Kirche

Das weitreichende Versagen der evangelischen Kirche gegenüber dem jüdischen Volk erfülle mit Trauer und Scham, heißt es weiter. Aus dem Erschrecken über theologische Irrwege und dem Wissen um Schuld am Leid der Juden erwachse eine besondere Verantwortung, jeder Form von Judenfeindschaft entgegenzutreten. Das Reformationsjubiläum biete Anlass zur Umkehr und Erneuerung. „Luthers Sicht des Judentums und seine Schmähungen gegen Juden stehen nach unserem heutigen Verständnis im Widerspruch zum Glauben an den einen Gott, der sich in dem Juden Jesus offenbart hat.“

„Wenn in Deutschland der Antisemitismus zunimmt, ist dies nicht nur ein Problem für die jüdische Gemeinschaft. Es ist ein Problem für die gesamte Gesellschaft“, sagt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Es muss daher auch ein Anliegen der Kirchen sein, diesem Antisemitismus entschieden entgegenzutreten.“ Er sei sehr dankbar dafür, dass „der interreligiöse Dialog in Deutschland mit der EKD und auch mit der katholischen Kirche so gut funktioniert“.

Dieses Vertrauensverhältnis wirke sich auch positiv auf den Umgang mit dem Reformationsjubiläum aus. „Die EKD hat diese unangenehme Seite Luthers nicht ausgeblendet, obwohl sie unbequeme Fragen aufwirft. Sicherlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn sie dieses Thema schon früher aufgegriffen und selbstkritisch reflektiert hätte. Doch manchmal braucht es einen historischen Anlass und genügend Abstand zum Geschehen.“ Auch wenn der Zentralrat keine direkte Linie ziehe von Luther zur Shoa, „ist es für den christlich-jüdischen Dialog wichtig, dass sich die evangelische Kirche klar von den antisemitischen Seiten Luthers distanziert.“

Ausstellung in der Dreikönigskirche

Mit christlichem Antijudaismus und dem erneuerten Verhältnis zum Judentum befasst sich die Ausstellung „Ein langer Irrweg. Ein weiter Weg der Umkehr.“ Sie ist noch bis zum 2. April in der Dreikönigskirche am Sachsenhäuser Ufer (Nähe Eiserner Steg) zu sehen, und zwar montags bis freitags von 10 bis 17 Uhr und sonntags zwischen 10 und 15 Uhr. Die Ausstellung im Begleitprogramm der Woche der Brüderlichkeit zeigt den langen Irrweg in Theologie und Kirche in Bezug auf Juden und Judentum bis hin zur Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses in den vergangenen 65 Jahren. Veranstalter ist der Evangelische Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau, der Eintritt zur Ausstellung ist frei.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 22. März 2017 in der Rubrik Bücher & Filme, Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Bernd Kammermeier schrieb am 24. März 2017

    Ich finde es ehrlich, wenn hier Luther unumwunden als Antisemit bezeichnet wird. Dies ist nicht üblich in der evangelischen Kirche. Noch vor wenigen Wochen bestritt dies Prof. Dr. Strom aus Heidelberg mir gegenüber in einem Gespräch.

    Vielleicht hängt dieses „Nicht wahr haben wollen“ damit zusammen, dass wir in Deutschland Antisemiten nicht feiern sollten. Nicht im Land des Holocaust – aber auch sonst nirgends.

    Dabei ist Luthers Antisemitismus nur eine Seite der Medaille, die ihre Ursache im Monotheismus-Prinzip hat: Gibt es nur einen Gott, dann auch nur ein „heiliges“ Buch und darauf basierend nur eine Religion mit einer einzigen Religionspraxis. Die Folge war und ist, dass „Vorläuferversionen“ der monotheistischen Religion als obsolet angesehen werden. Auf das Judentum folgte das Christentum, auf dieses der Islam und auf diesen das Mormonentum – um nur die Wichtigsten zu nennen. Da die „Vorläuferversionen“ hierzu eine völlig andere Meinung haben, musste es zwangsläufig Religionskriege geben.

    Eine „monotheistische Ökumene“ ist Illusion, wenn sich nicht einmal Katholiken und Protestanten auf das „Kleingedruckte“ einigen können, weil sie das „Kleingedruckte“ für essentiell und unverzichtbar halten. Das heißt, solange es Monotheismen gibt, wird es diese Spannung geben, die sich mal im friedlichen Diskurs, mal in gewalttätigen Auseinandersetzungen entlädt.

    Luther war deswegen konsequent gegen jede Abweichung von seinem Religionsverständnis. Er beschimpfte Katholiken, Juden, Muslime, Ketzer (also Atheisten) und Häretiker gleichermaßen. Die Juden nervten ihn gewiss am meisten, weil sie ihm eigentlich am nächsten sein sollten.

    Ich bin einer der Herausgeber der judenfeindlichen Schriften Luthers, die nicht nur aus „Von den Juden und ihren Lügen“ bestehen, sondern sich fast durch das halbe Leben Luthers zogen. Er war nämlich nie ein Judenfreund (wie hätte er dies als Christ auch sein können), sondern hoffte anfangs lediglich, sie missionieren zu können. So übertrugen wir nicht nur „Von den Juden und ihren Lügen“ erstmals in heutiges Deutsch, sondern auch „Dass Jesus Christus als Jude geboren wurde“, den „Brief an Josel von Rosheim“, „Gegen die Sabbather“ und „Vom Schem Hamphoras und der Abstammung Christi“ (Band 2) sowie „Psalm 109“, „Die letzten Worte Davids“ und „Eine Vermahnung gegen die Juden“ (Band 3).

    Erst die in heutige Sprache übertragenen Texte zeigen deutlich das menschenfeindliche Denken Luthers, der von Ängsten vor erfundenen oder eingebildeten Horrorgestalten (Teufel und Hexen) zerfressen war, der nur seine Meinung gelten ließ und allen anderen mindestens schwerste Höllenstrafen wünschte.

    Dieser Mensch darf in der Gesamtschau seiner Existenz niemals gefeiert werden. Es gruselt mich, wenn noch heute unsere Bearbeitung des Buches „Von den Juden und ihren Lügen“ auf rechtsradikalen und offen antisemitischen Websites als Beleg für die Vernichtung des Judentums herangezogen wird. Solange Menschen wie Luther hoffähig gemacht werden, besteht diese Gefahr immer weiter.

    Das muss aufhören. Wir sollten aus der Geschichte lernen, dass auf Wörter („Am Anfang war das Wort“) irgendwann auch Taten folgen. Beschwichtigungen helfen hierbei nicht. Und Religionen müssen sich irgendwann der Aufgabe stellen, an den Kern ihrer Ideologie zu gehen und sich neue „heilige“ Schriften zu schaffen, die einem demokratischen und friedlichen Gemeinwesen entsprechen…