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Von – 1. April 2017

Der Algorithmus, ein neuer Star in der Götterwelt

Algorithmen haben etwas Göttliches: Sie sind allgegenwärtig, es gibt kein Entkommen, und wir sind von ihnen abhängig, ob wir wollen oder nicht. Aber wir müssen uns ihnen nicht ergeben.

Foto: Patrick Daxenbichler/Fotolia.com

Das Göttliche habe immer etwas Anziehendes und Faszinierendes, aber auch etwas Furchtbares und Bedrohliches, sagt der Religionswissenschaftler Rudolf Otto. Für Martin Luther ist ein Gott das, worauf man sich verlässt und worin man sein Vertrauen setzt. Geld und Macht sind in diesem Sinne die Klassiker, auch wenn es nicht gesund ist, sich von ihnen abhängig zu machen.

Weit weniger bekannt ist der Algorithmus, der für sich genommen ebenso unscheinbar ist wie ein Geldschein: Er bezeichnet eine systematische, logische Regel oder Vorgehensweise, um ein vorliegendes Problem zu lösen, und gehört in die Mathematik und Informatik. Das prädestiniert ihn aber dazu, im großen Stil und mit sehr vielen Daten gefüttert Antworten auf komplexe Fragen zu liefern und seinen Schöpfern Kontrolle über Menschen zu geben.

Algorithmen können Unfälle verhindern und Rechtschreibfehler finden

Algorithmen können zum Beispiel in einem elektronischen Steuergerät im Auto in einer vorher definierten Gefahrensituation in das Brems- und Lenksystem eingreifen, um einen Unfall zu verhindern. Oder in einer Textverarbeitung Rechtschreib- und Grammatikfehler aufspüren und Korrekturen vorschlagen. So weit, so menschenfreundlich.

Algorithmen können aber viel mehr: Sie stecken etwa in Suchmaschinen, mit denen das Internet durchforstet werden kann, und liefern uns auf uns persönlich zugeschnittene Ergebnisse, die auf unseren zumindest mutmaßlichen Vorlieben und Interessen beruhen – von einem „Danke, Google!” bis zur Ahnung, manipuliert zu werden, ist es dann ein kleiner Schritt. Oder in sozialen Netzwerken, wo sie dafür sorgen können, dass wir mit Menschen unseres eigenen Meinungsspektrums umgeben sind – ob gelenkte Freundschaften aber wirklich das Wahre sind? Oder in Auskunfteien, die Informationen darüber anbieten, wie kreditwürdig wir sind – hoffentlich wohnen wir nicht in der falschen Straße.

Ab 300 Likes kennt er uns besser als Ehemann oder Ehefrau

Mit 70 Likes auf Facebook geben wir einem Algorithmus genügend Stoff, dass er mehr über uns „weiß” als ein Freund, mit 150 mehr als die Eltern, und ab 300 Likes „kennt” er uns besser als der Partner oder die Partnerin, womöglich am Ende sogar besser als wir uns selbst. Transparenz kann uns nützen, aber sie macht uns auch berechenbar, überwachbar und für fremde Interessen steuerbar, wobei Kaufanreize auf Internetseiten noch die primitivste Variante darstellen. Und natürlich können Algorithmen gegen uns gebraucht werden, denn mit dem eingangs genannten Steuergerät kann man natürlich unser Auto auch von der Straße abbringen.

Algorithmen haben etwas Göttliches: Sie sind allgegenwärtig, es gibt kein Entkommen, und wir sind von ihnen abhängig, ob wir wollen oder nicht. Sie sind mächtig, denn sie bestimmen über Wohl und Wehe, entwickeln eine eigene Dynamik, beeinflussen sogar Wahlen. Sie entscheiden, wer nach bestimmten Kriterien vertrauenswürdig ist und wer nicht, und wir sind ihnen ausgeliefert, ohne dass sie für uns zugänglich werden. In der anonymen Welt rastern sie so fein, dass wir fast schon als Individuen erkennbar werden, nur dass die Summe der über uns zusammengetragenen Informationen allenfalls ein winziger Bruchteil dessen ist, was uns als Persönlichkeit ausmacht. Algorithmen beeindrucken mit ihren Möglichkeiten und machen zugleich Angst, weil sie Macht über uns vermitteln.

Anbetungswürdig sind Algorithmen aber nicht

Wie mit dem Geld und der Macht, so werden wir auch mit den Algorithmen leben müssen. Viel gewonnen ist schon, wenn wir uns nicht an sie verlieren. Denn anbetungswürdig sind sie mitnichten: Weder sind sie uns freundlich und liebend zugewandt, noch sind wir für sie wirklich Menschen, wunderbar und schön. Ein gesundes Misstrauen ist also angebracht.

Da lobe ich mir dann doch den Christengott, von dem ich weiß, was ich ihm bedeute, und dass er mir Gutes will.

Mehr zum Thema und zum EKHN-Kongress im Dossier „Algorithmen“.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. April 2017 in der Rubrik Ethik, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Sonnenanbeterin schrieb am 27. Mai 2017

    Etwas Göttliches haben Algorithmen sicherlich nicht, und es wundert, dass ausgerechnet die „Kirche“ darüber schreibt. Sicherlich sind wir in einer Gesellschaft an gewisse Algorithmen gebunden, einfach weil sie durch Gesetze und Regeln vorgegeben sind. Allmächtig sind sie aber nicht. Man kann sich ihnen auch erfolgreich entziehen – bestes Bsp: Angela Merkel!
    Soziale Netzwerke existieren, weil es das Internet gibt. Schalten wir nur einmal für 1 Woche den Strom ab, ist Feierabend damit. Genauso wenn sich das Magnetfeld der Erde ändert oder Sonnenstürme auftreten, was irgendwann wieder geschehen wird.
    Also ist es nicht weit her mit dem allmächtigen Gott Algorithmus ;-)

    Harmloser ist allerdings tatsächlich der „Christengott“ – von ihm muss man gar nichts befürchten – weder Gutes noch Schlechtes! Fürchten muss man eher unflexible Verfechter von Ideologien – egal aus welcher Richtung.