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Aktuell

Von – 8. Juni 2017

Boykott-Kampagnen, „Israelkritik“ und Antisemitismus

Wann ist Kritik an der Politik des Staates Israel antisemitisch? Im Vorfeld einer umstrittenen Konferenz über die israelische Besatzungspolitik lud die Bildungsstätte Anne Frank gestern Abend im Ökohaus zu eine Podiumsdiskussion ein, bei der auch Pröpstin Gabriele Scherle dabei war.

Auf großes Interesse stieß die Debatte zwischen Jutta Ditfurth, Meron Mendel und Gabriele Scherle über Antisemitismus in der so genannten „Israelkritik“ gestern Abend im Ökohaus. Foto: Antje Schrupp

In die Diskussion geraten war die geplante Israel-Konferenz durch scharfe Kritik des Frankfurter Kämmerers Uwe Becker, der den Veranstaltern „zutiefst antisemitische Stimmungsmache“ vorgeworfen hatte.

Nachdem die Betreiber des Ökohauses den Mietvertrag daraufhin gekündigt hatten, fragten die Veranstalter bei einer evangelischen Kirchengemeinde in Frankfurt an. Sie habe der Gemeinde jedoch geraten, keine Räume für die Konferenz zur Verfügung zu stellen, sagte Pröpstin Scherle, und der Kirchenvorstand habe dann auch so entschieden. Nicht umsonst habe die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau bereits vor 25 Jahren ihr Bekenntnis geändert und „die bleibende Erwählung der Juden“ als Gottes Volk bekräftigt. Dazu gehöre auch das unhinterfragbare Existenzrecht eines jüdischen Staates Israel.

Inzwischen hat das Frankfurter Amtsgericht die Kündigung der Veranstaltungsräume für unzulässig erklärt, sodass die Konferenz wie geplant im Ökohaus stattfinden kann. Verschiedene jüdische und zivilgesellschaftliche Organisationen haben Gegenproteste angekündigt, darunter auch Jutta Ditfurth. Die Autorin und Frankfurter Kommunalpolitikerin beschäftigt sich seit längerem intensiv mit antisemitischen Argumentationen in der neurechten, aber auch in Teilen der linken politischen Debatten.

Sie habe sich die Referent_innen bei der geplanten Konferenz angeschaut, sagte Ditfurth bei dem Podium gestern Abend im Ökohaus, und festgestellt, dass bis auf eine Ausnahme alle der Kampagne „BDS“ („Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“) nahestehen oder sie sogar aktiv unterstützen. Diese 2005 gegründete Bewegung pflege von sich zwar den Mythos, eine friedliche Graswurzel-Bewegung zu sein, die lediglich die israelische Siedlungspolitik kritisiere und für die Menschenrechte der Palästinenser_innen eintrete. Es sei jedoch leicht zu belegen, dass das Ziel der Kampagne letztlich die Abschaffung des Staates Israels als jüdischem Staat sei. Die BDS-Kampagne verwende klassische antisemitische Narrative, stärke die rechten Kräfte in Israel und die Regierung Netanjahus und verhindere jedes diplomatische Vorankommen.

Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank und selbst Israeli, stimmte dieser Einschätzung zu. Es gehe der BDS-Kampagne keineswegs um eine Lösung des Konflikts oder um eine sachliche Kritik an der Politik Israels. Er selbst etwa boykottiere, wie viele seiner israelischen Freund_innen, schon lange Produkte aus den besetzten Gebieten, und er begrüße jeden internationalen Druck auf die israelische Regierung in Sachen Siedlungspolitik. Aber der BDS sei etwas ganz anderes, weil er das Existenzrecht Israels in Frage stelle und offen antisemitische Argumentationen verwende.

Er sei aber dennoch dagegen, die Kampagne oder Konferenzen wie die jetzt in Frankfurt geplante zu verbieten. Die Diskussionen müssten vielmehr offen geführt werden, zumal es durchaus auch viele Menschen gebe, die BDS mit guten Absichten unterstützten. „Man muss eben darüber aufklären, dass sie damit nur den Extremisten in die Hände spielen“.

In der Debatte über den Staat Israel, die Besetzung palästinensischer Gebiete und antisemitische Argumentationen gehe es neben einer nüchternen politischen Analyse auch „um unser Selbstverständnis als Deutsche“ sagte Pröpstin Gabriele Scherle. Dabei spielten vor allem drei Fragen eine Rolle: Welche Lehren wir aus dem Holocaust, der Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden durch den deutschen Staat im Nationalsozialismus ziehen, wie sich Antisemitismus von Kritik an Israel sauber unterscheiden lasse, und welche Lösungen es für den komplexen Konflikt um Palästina geben kann, die nicht ideologisch, sondern praktikabel sind.

„Eine gegenseitige Dämonisierung und die Haltung, dass wir über die Gegenseite bereits alles wissen, ist dafür nicht förderlich“, so die Pröpstin.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 8. Juni 2017 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.