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Von – 15. Juni 2017

Der Weg ist das Ziel? Wie die Religionen das Pilgern sehen

Katholiken wandern zu Heiligen Reliquien, Protestantinnen suchen die Begegnung mit Gott, Muslime fahren einmal im Leben nach Mekka, Jüdinnen haben keinen Heiligen Ort zum Pilgern mehr: Ein Abend in der Reihe „Heilige Texte“ über die Bedeutung des Pilgerns in den verschiedenen Religionen. 

Foto: hanswichmann/Fotolia.com

Manche Menschen lassen sich mit dem Bus nach Santiago de Compostela kutschieren, gehen in die Kathedrale, werfen einen Blick auf den Reliquienschrein des Apostels Jakobus und fahren nach Hause zurück. Natürlich mit Urkunde und Stempel in der Tasche, die bescheinigen: Sie sind gepilgert. Hans Prömper kann diese Art Pseudo-Pilgerer eigentlich nur bedauern. Er selbst ist beim Pilgern stets zu Fuß unterwegs und weiß, was ihnen entgeht.

Sicher, die Tour auf dem Jakobsweg ist alles andere als ein lockerer Spaziergang. „Es kommt vor, dass es den ganzen Tag nichts zu essen gibt und man nachts sein Bett mit fremden Menschen teilen muss.“ Aber für derlei Strapazen fühlt sich Prömper, stellvertretender Vorsitzender der Hessischen St. Jakobusgesellschaft, am Ende mehr als entschädigt. „Auf das Wesentliche reduziert zu sein, ist eine unvergleichliche Erfahrung.“

Im Mittelalter galt das Pilgern als ein Instrument der Buße. Heute wird es von vielen Menschen geschätzt, zum Beispiel vonsolchen, die sich einem Einschnitt in ihrem Leben gegenüber sehen. Beim Pilgern wollen Menschen zu sich kommen, den Sinn ihres Daseins ergründen und Abstand vom Alltag erhalten – getreu einem Satz des Theologen Karl Rahner: „Der Mensch muss gehen, aufbrechen und suchen, weil er sonst nicht gefunden wird.“

Es gibt einen Unterschied zwischen Wallfahrt und Pilgern

Dabei gibt es einen Unterschied zwischen Wallfahrt und Pilgern erklärte Prömper: Eine Wallfahrt sei ein gemeinschaftliches Erlebnis und an ein bestimmtes Datum gebunden. „Der Pilger dagegen bricht auf, wann immer ihm danach zumute ist.“ Dabei muss der Weg nicht zwangsläufig nach Nordspanien führen. In Deutschland könne man zum Beispiel den Spuren von Bonifatius, der Heiligen Elisabeth oder Martin Luthers folgen. Ziel sei jedenfalls immer „ein religiös geprägter Ort, an dem man in unmittelbaren Kontakt mit Reliquien kommt“.

Dem widersprach freilich Eberhard Pausch, Studienleiter für Religion und Politik der Evangelischen Akademie Frankfurt: Er war als Zuhörer im Haus am Dom zu Gast und erinnerte er daran, dass der Protestantismus keine Reliquien kennt. Aus Sorge, dass die Menschen Pilgern als gutes Werk betrachten könnten, mit dem man sich Gerechtigkeit vor Gott verschaffe könne, habe Luther das Pilgern sogar abgelehnt. Deshalb zeichne der Lutherweg lediglich die Reise des Reformators von Wittenberg zum Wormser Reichstag nach, auch wenn er natürlich Protestanten und Protestantinnen auch zum Sammeln spiritueller Erfahrungen dienen kann.

Ähnlich sei die Haltung im Islam, erläuterte Nadir Moubarrid, der Leiter einer muslimischen Familien- und Jugendeinrichtung im hessischen Lützelbach. „Bezüglich Pilgern denken Muslime wie Protestanten: Es wird nichts verehrt“, hob hervor. Die Kaaba in Mekka etwa sei „nicht heilig, sondern nur ein Stein.“ Während der „Hadsch“, der Reise nach Mekka einmal im Leben, zu dem alle Muslime aufgerufen seien, gehe es allein um die Verbindung zu Gott. „Die Pilgerfahrt nach Mekka soll das Loslassen vermitteln, soll klar machen, dass alles, was wir besitzen Gott gehört.“

Eindringliche Erfahrungen – nicht nur in spiritueller Hinsicht

Nadir Moubarrid selbst ist bereits zwanzig Mal in Mekka gewesen. Nicht nur in spiritueller Hinsicht, so erzählt er, sei er immer mit eindringlichen Erfahrungen zurückgekehrt. Großen Eindruck habe bei ihm zum einen die enorme Völkervielfalt hinterlassen. „An der Kaaba treffen sich Menschen aus aller Herren Länder, der gesamte Erdball ist hier auf einem Fleck.“ Zum anderen schätzt er den Verzicht auf die gewohnten Annehmlichkeiten. So seien die Männer während der Pilgerfahrt in nichts als zwei weiße, ungesäumte Tücher gehüllt, dürfen sich weder rasieren noch die Haare schneiden. Mit wenig Essen und unkomfortablen Feldbetten in der Zeltstadt müssen sich fast alle bescheiden.

Den „Hadsch“ begreift Nadir Moubarrid als sehr persönliches Erlebnis, bei dem die Einstellung des Einzelnen entscheidend ist. „Manche steigen im Fünf-Sterne-Hotel ab und sind die ganze Zeit nur am Meckern. Andere setzen sich intensiv mit sich selbst auseinander, denken über Sinnfragen nach und vertiefen sich ins Gebet.“

Eine so tiefgehende Einkehr verbindet Petra Kunik mit dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Er bilde den Abschluss einer zehntägigen Reue- und Umkehrphase, in der man das eigene Verhalten reflektiert und besonders Verfehlungen und Irrwege unter die Lupe nimmt. „Am Versöhnungstag Jom Kippur wird dann 26 Stunden lang gefastet und Zwiesprache mit Gott gehalten.“

Ohne Tempel gibt es kein jüdisches Pilgerziel mehr

Wie die Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit erklärte, fand im Judentum mit der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 auch das Pilgern ein Ende. Zuvor seien Juden und Jüdinnen an den großen Festen Pessach, Schawuot und Sukkot stets nach Jerusalem geströmt, um ihren Zehnt abzugeben und ein Tieropfer zu bringen. Auf dem Weg hätten sie hierfür eigens komponierten Hymnen gesungen.

Weil die Sehnsucht nach Wanderung weiterbestand, nahm der jüdische Kalender zwar das Gedenken an den Auszug aus Ägypten, die Übergabe der Thora und das Laubhüttenfest als Wallfahrtsfeste auf. Für Petra Kunik ändert das jedoch nichts an dem Tatbestand: „Seit der Zerstörung des Tempels gibt es für Juden keinen heiligen Ort mehr, der Pilgern ermöglicht.“

Auch der Gang zur Klagemauer oder zu den Gräber bedeutender Rabbiner sei kein Pilgern, sondern nur ein Besuch. „Im Judentum wird keine Heiligenverehrung praktiziert.“ Ihr falle es deshalb schwer, die „Aufladung bestimmter Orte nachzuvollziehen“.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 15. Juni 2017 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Elke Gutberlet schrieb am 15. Juni 2017

    Das finde ich eine ganz spannende Zusammenfassung der einzelnen Religionen zum Thema Pilgern. Vor allem aber in aller Kürze erhellend und klarstellend. Das sollte es für ähnliche Themen öfter geben, um die Unterschiede der Religionen zu verdeutlichen und um sie anzuerkennen.