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Von – 8. August 2017

Gottesbezug in der Verfassung – was soll das?

Die Hessische Verfassung soll reformiert werden, und Kirchen und CDU haben vorgeschlagen, einen Gottesbezug in der Präambel einzuführen. Dass das passiert ist zwar wenig wahrscheinlich. Es schadet aber nicht, sich einmal mit dem Hintergrund dieser Idee zu beschäftigen. 

Wilfried Steller. Foto: Rui Camilo

„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen” – die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben in der Präambel einen Gottesbezug formuliert. Das war ein Resultat aus der Erfahrung des Nationalsozialismus: Einen Staat, der sich selbst absolut setzt und geradezu vergottet, darf es nicht noch einmal geben!

Auch der Staat und der oberste politische Souverän, das Parlament, müssen Demut und Respekt zeigen gegenüber den Voraussetzungen, denen sie sich verdanken: den Errungenschaften im kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas: Menschenwürde, Freiheit, Toleranz. Der Gottesbezug dient also im Wesentlichen der Gefahrenabwehr: Auch ein demokratisches System kann versagen. Dem Staat wohnt eine Tendenz inne, alle Lebensbereiche zu durchdringen. Diese Tendenz soll durch den Verweis auf Gott von „oben” begrenzt und vor sich selbst geschützt werden. Macht darf nie zum Selbstzweck werden, der Staat nie sich selbst genügen.

Der Gottesbezug weist auf eine Berufungsinstanz für den Fall, dass der Staat ins Totalitäre abrutscht. Zugleich definiert er die Quelle, aus der die Verfassung schöpft. Die Gestalterinnen und Gestalter des Staats, so wird betont, handeln nicht nur in der Verantwortung vor sich selbst, ihrer Partei oder der Mehrheitsmeinung. Sie handeln auch in Verantwortung vor etwas Höherem, gewinnen ihre Ziele, Werte und Ideale von einer höheren Instanz.

Hier beginnt natürlich auch die große Schwierigkeit, wegen der viele Menschen einem Gottesbezug in der Verfassung skeptisch gegenüberstehen: Was meint das Wort „Gott”?

Obwohl das Nachkriegsdeutschland christlich geprägt war, sollten damals mit dem Gottesbezug im Grundgesetz weder die Kirchen bedient noch der Staat verchristlicht werden, im Gegenteil: Der Staat selbst wollte bewusst in weltanschaulicher Neutralität bleiben – wohl wissend, dass seine Bürger und Bürgerinnen in Religionen und Weltanschauungen eingebunden sind, die ihm einen geistigen Nährboden geben. Den Teufel hatte man hinter sich – in „Gott” fand der Staat als weltliche Ordnung ein sowohl anregendes wie kritisches Korrektiv außerhalb seiner selbst.

Unser Staat besitzt die Größe, sich mit diesem Gottesbezug selbst zu relativieren. Das bedeutet auch: der Gottesbezug versperrt ausdrücklich den Weg zu einer christlichen oder andersreligiösen Staatsreligion oder Theokratie: Der Staat ist das eine, „Gott” das andere.

Angesichts einer multireligiösen wie auch durch atheistische und wissenschaftliche Weltbilder geprägten Gesellschaft kann „Gott” nur eine Chiffre sein für ein höheres Prinzip, ein höheres Wesen, eine höhere Wahrheit oder Weisheit, die jede und jeder mit dem eigenen religiösen und weltanschaulichen Empfinden füllen kann und soll: Der Staat gibt eine verbindliche, sinnvolle und lebensdienliche Ordnung, nicht mehr und nicht weniger.

Der Staat schreibt keinerlei Religion und Weltanschauung vor, aber jede Bürgerin, jeder Bürger bringt – ganz demokratisch! – die eigenen ideellen, spirituellen oder transzendenten Ansätze – genannt „Gott” – in die Debatten und ins alltägliche Leben ein. So wird der Staat in einer wohltuenden Balance zwischen Bedeutungslosigkeit und Übergriffigkeit gehalten.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 8. August 2017 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Friedrich Peter Niebling schrieb am 9. August 2017

    Eine Verfassung ist immer ein Spiegelbild jener Verfassung, in welcher sich ihre Verfasser befinden. Wie nun sind die Verfasser einer Verfassung derart zu fassen, dass sie sich hinsichtlich der zu verfassende Verfassung derart mit ihrer Aufgabe befassen, dass solch eine feierliche Einführung in die Verfassung –Präambel genannt- schlicht weg wegfallen kann? Es müsste eine Verfassung geben, in der verfasst ist, was alles in einer Verfassung erfasst sein muß. Um solch eine Verfassung zu verfassen, braucht es Verfasser, welche ganz gefasst erfassen, was es zu fassen gilt. Und dies ist eins der Schwersten. Denn, solange die möglichen Verfasser einer Verfassung nicht erfasst haben, durch welche Grundlebensprinzipien das Leben sich regelt, kann keine Verfassung verfasst werden, die dem Prinzip der Ausbeutung entgegensteht. In einer Verfassung, in der verfasst wäre, was es -bezogen auf die Gesetzmäßigkeiten des Lebens- zu erfassen, gilt, wäre ein Gottesbezug, auch ohne Verweis auf ihn, hergestellt. Wie eigentlich ist es um meine Verfassung bestellt? Naja, wenn das mit dem Spiegelbild stimmt………..