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Von – 9. August 2017

Religion und Wirtschaft: Nachdenken über das Geld der Zukunft

Martin Luther zog harsch gegen Spekulationsgeschäfte und profitträchtigen Ablasshandel zu Felde. In der Mätthäuskirche gibt es deshalb zum Reformationsjubiläum eine Veranstaltungsreihe zum Thema „Geld der Zukunft“.

Foto: Antje Schrupp

Für einen Bettelmönch legte Martin Luther beachtliches Wissen über ökonomische Gesetzmäßigkeiten an den Tag. Bereits zwei Jahre nach dem Thesenanschlag brachte er den „Sermon vom Wucher“ unters Volk, 1524 folgte der „Sermon über den Handel“. Dass er zwischenzeitlich die Bibel übersetzte, dürfte ihn dabei beflügelt haben.

Pfarrerin Susanna Faust-Kallenberg findet, Luthers ökonomische Schriften sind gute Analysen einer von massiven Umwälzungen geprägten Epoche. „Während die Mehrheit der Bevölkerung noch von der Landwirtschaft lebte, wurde die Naturalwirtschaft endgültig von der Geldwirtschaft abgelöst, entstanden weltweite Handelsgesellschaften wie die der Fugger und Welser.“

Allerdings hat Luther hierauf mit Hetztiraden reagiert, die heute in Facebook bestimmt gute Klicks erreichen würden. Man sollte „alle Wucherer rädern und foltern, alle Geizhälse verjagen, verfluchen und köpfen“, schrieb er zum Beispiel. Das sei aber seiner „Sorge um ein funktionierendes Gemeinwesen“ geschuldet, so Faust-Kallenberg. Er sei sich darüber bewusst gewesen, dass die Gesellschaft auf Handel und alles, was damit zu tun hat, nicht mehr verzichten kann. Deshalb habe er dafür zumindest ethische Kriterien festlegen wollen.

„Entscheidend war für Luther, dass die Obrigkeit gerechte Rahmenbedingungen für den Markt erlässt, und wenn ein Zinssatz unvermeidlich ist, sollte er so niedrig wie möglich sein“, brachte evangelische Pfarrerin für Interreligiösen Dialog das Anliegen des Reformators auf den Punkt.

Die Kritik an Zinsen ist dabei ein altes biblisches Motiv. Bereits das fünfte Buch Moses lässt keinen Zweifel: „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder für Geld noch für Speise noch für alles, wofür man Zinsen nehmen kann.“ Auch Lukas fordere in seinem Evangelium auf: „Liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen.“ Aus solchen Bibelstellen hätten die Theologen der alten Kirche ein Zinsverbot abgeleitet. Es war zuerst auf die von Zinsen lebenden Kleriker und Klöster begrenzt, sei im 5. Jahrhundert ausgedehnt und im 12. Jahrhundert schließlich in der christlichen Lehre verankert worden.

Thomas von Aquin habe allerdings gleich auch wieder Ausnahmen formuliert, mit denen viele das Verbot umgingen, so Faust-Kallenberg. Zum Beispiel, indem sie Zinsen als Bestrafung bei Säumnis, Risiko- und Schadensausgleich oder als Geschenk deklarierten. In den beiden Jahrhunderten nach Luther wurde das christliche Zinsverbot dann immer weiter aufgeweicht, bis Papst Pius es im Jahr 1830 für die katholische Kirche auch offiziell abschaffte.

Auch das Judentum steht der Zinswirtschaft kritisch gegenüber, doch es gibt dafür „kein absolutes, sondern ein relatives Verbot“, erklärte Abraham de Wolf, der Vorsitzende des Vereins zur Förderung der angewandten jüdischen Wirtschafts- und Sozialethik „Torat HaKalkala“. Ausdrücklich untersagt sei nur, den Armen Zinsen abzuverlangen sowie „alles, was Menschen in die Überschuldung treibt“. Aus diesem Grund mahnten die Wirtschaftstraktate des Talmud an, verschuldeten Menschen alle sieben Jahre die Schulden zu erlassen.

Das Schabbatjahr sollte dazu dienen, eine Überschuldung der Bauern sowie deren Abrutschen in die Schuldknechtschaft zu verhindern. Auch damals schon hatten allerdings wirtschaftspolitische Maßnahmen zuweilen unerwünschte Folgen. So wurden dann ein bis zwei Jahre vor dem Schabbatjahr oft keine Darlehen mehr vergeben, weil sie ja ohnehin nicht mehr zurückgezahlt würden.

Im Judentum werde Geld nicht negativ, sondern als notwendiges Mittel gesehen, fasste de Wolf die grundsätzliche Haltung zusammen. Da da Geld den Tausch erleichtert und alle das Gleiche für einen bestimmten Betrag erhalten, habe der Philosoph Georg Simmel dem Geld sogar eine „emanzipatorische Wirkung“, bescheinigt.

Abraham de Wolf erinnerte auch daran, dass das Münzprägerecht ursprünglich in den Händen der Tempel gelegen hat. „Aus der daraus entstehenden Mehrwertsteuer wurde das Sozialsystem finanziert.“ Auch die Erhebung von Zinsen habe viel mit der Aufrechterhaltung der sozialen Systeme zu tun gehabt.

Nach Ansicht des Rechtsanwalts sollten sich Kirchen, Synagogen und Moscheen heute wieder viel intensiver mit wirtschaftlichen Themen befassen. Zum einen, weil jene, die ohnehin wenig haben, bei Krisen am meisten leiden. Zum anderen, um Menschen über einen Bereich aufzuklären, der für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln ist.

Neben den Religionen – der muslimische Referent war kurz zuvor erkrankt – kamen bei der Diskussionsveranstaltung auch zwei Referenten zu Wort, die den Finanzsektor von innen kennen. Matthias Klimpel war fast sieben Jahre bei der Deutschen Bundesbank tätig und berichtete unter anderem von den Machtkämpfen zwischen seinem früheren Arbeitgeber und der Euorpäischen Zentralbank. Inzwischen ist der Volkswirt Vorstandsmitglied der „Initiative für natürliche Wirtschaftsordnung“ und setzt sich für eine faire Wirtschaft ein.

Auch der ehemalige Banker Thomas Jörder kehrte seinem Job den Rücken, weil er die Schattenseiten der Branche nicht mehr verschweigen wollte und konnte. „Ich habe mir gesagt, entweder du verzweifelst oder du gibst dein Wissen an Kunden weiter“, umriss er in der Matthäuskirche seinen Entschluss, fortan als selbstständiger Finanzberater zu agieren. In dieser Funktion wie auch in seinem Blog klärt er nun Menschen über die Risiken und Nebenwirkungen von Geldanlagen auf.

Die Veranstaltungsreihe „Geld der Zukunft“ wurde von Ottmar Gendera und Hajo Köhn aus Anlass des Reformationsjubiläums initiiert. In Zusammenarbeit mit der Initiative „Neue Geldordnung“ und der Hoffnungsgemeinde verwandeln sie unter dem Titel „Luther und das ‚liebe Geld’…“ die Matthäuskirche in ein „temporäres Zukunftslabor“. Geleitet von dem Lutherwort „Woran dein Herz hängt, das ist dein Gott“ stehen hierbei ethisch-soziale, finanzpolitische und theologische Fragen zur Diskussion. 

Zwei weitere Abende sind geplant: Am Freitag, 18. August, geht es um das Thema „Schöpfung und Geldschöpfung – Genesis, Gewinn und Geldreform“, am Freitag, 15. September, um „Gerechtigkeit und Vermögen – Vision einer menschlichen Zukunft“ – Beginn jeweils um 19 Uhr in der Matthäuskirche, Friedrich-Ebert-Anlage 33. 

Die Erkenntnisse aus den Abenden der Werkstattreihe fließen in die Ausstellung „Geld der Zukunft“ ein, die am 6. Oktober um 19 Uhr in der Matthäuskirche eröffnet wird und mit einer Finissage am 24. November endet. Weitere Informationen unter www.ev-hoffnungsgmeinde.de oder www.geld-der-zukunft.de

 

 

 

 

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 9. August 2017 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Friedrich Peter Niebling schrieb am 14. August 2017

    Religion und Wirtschaft ziehen naturgemäß an einem Strang. Und je nach Reife der Menschen, werden zwei Stränge daraus. Und schnell wird aus dem Und, ein Versus. Vor allem, wenn einer der Stränge sich zum Herrscher über den anderen Strang mausert bzw. wenn ein Strang als dem Anderen Strang zugehörig nicht mehr zu erkennen ist und uns so, als Unwesen erscheinen muss. Das der Religion und der Wirtschaft innewohnende Grundlebensprinzip der Lebenserhaltung inklusive Wachstum, erscheint in unserer Welt „zuweilen“ sozusagen in unerlöster bzw. verzauberter Form als Sekte oder als Derivate; es ist ähnlich wie bei Zwergnase oder dem Froschkönig oder einer Harmoniebombe. Freilich kann das nur geschehen, weil Menschen auf Grund ihrer frühen Geburt und damit gr0ßen Abhängigkeit und geringer Möglichkeit situationsgerecht zu kommunizieren, in ihrer Mauser, gemäß ihrer Einzigartigkeit, gestört werden bzw. gestört sind. Das ist wie mit dem Du versus Ich, dessen Ungleichgewicht naturgemäß zu einer Charakterausbildung führt, die wiederum Anlass gibt, Beschimpfungen -wie Egoist oder Narzisst oder Psychopath – hervorzubringen. Das ist wie mit dem Empfinden versus Struktur, dessen Ungleichgewicht letztlich Aufstand oder Zerbrechen hervorbringt, zuvor noch den Geizhals, den verknöcherten Beamten, den, der immer alles in Form bringen muss, oder auf der anderen Seite den, der immerzu unter dem Zwang steht, sich in einen besseren Zustand zu bringen. Das ist wie mit dem Alltag versus dem Sonntag, respektive der Arbeit versus Feiern; wie mit dem Haben versus Sein; wie mit der Harmonie versus dem Streit; wie mit Bindung versus Freiheit; wie das Wissen versus der Erkenntnis; wie die Einfalt versus Vielfalt. Mangelndes Bewusstsein darüber, dass diese unterschiedlichen Seiten keine Gegenpole, sondern lediglich nur zwei Seiten einer Medaille sind, bewirkt einen ständigen Kampf ums Richtigmachen bzw. ums Richtigsein. Insbesondere, wenn wir eingespannt sind, zwischen Bewahrung unserer Identität und der Notwendigkeit einer Erweiterung respektive eines Wandels unserer Identität. Und so befinden „wir“ uns –auf den Weg und/oder angekommen- mehr oder weniger in einer Welt, gleich einem Irrgarten. Es geht im Grunde also, um die Bewältigung des Alltages und damit auch um die Sicherung der Zukunft. Und das spielt sich nun mal in einem Raum ab, der zwischen Individualität und Sozialität liegt, zwischen Privat und Öffentlich, zwischen Ich und Du, und im Extremfall, nur noch zwischen Sein oder Nichtsein, wenn die Türen zum Leben klemmen oder sich am Verschließen sind, oder bereits verschlossen, drohen, verschlossen zu bleiben. Ein Raum, in dem für den einen alles möglich ist, und für den anderen nichts möglich ist. Ein Raum, der sowohl von eine friedlichen, als auch einer kriegerische Koexistenz von „Objektivität“ und Subjektivität beherrscht wird. Ein Raum, der Bewirker und Bewirkter ist. Wer oder was nun, bringt uns die Einsicht, dass alles Elend, welches wir schaffen, allein der Einsicht in unserer mangelnden Einsicht dient? Und was hält uns in Zaum, dass wir unsere Einsicht, nicht wie Luther, in Shitstorms verbringen. Nichts gegen Shitstorms, wenn sie lediglich eine Ventilfunktion haben und nicht an die Erwartung geknüpft sind, der andere müsse doch ein Einsehen haben und es anders tun können, als er es bis dato getan hat. Das Geld, das Mittel also, mit dem wir unser Lebensunterhalt bezahlen, könnte zukünftig ein erweitertes Bewusstsein beinhalten müssen, wenn wir unser Schicksal wirklich positiv beeinflussen wollen. Ja! Ich weiß! Es stehen so viele Mächtige und so vieles Mächtige dagegen! Und dennoch hat der eine oder andere eine Chance, wenn er bzw. sie entdecken, von welchen ganz persönlichen Herrschern er oder sie beherrscht wird. Wer eigentlich beherrscht mich gerade, wenn ich hier so schreibe?