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Von , – 7. September 2017

Schatten und Licht: Das Bahnhofsviertel im Wandel

Die Bahnhofsviertel ist mehr als Rotlichtmilieu und Drogenszene. Immer mehr Menschen zieht es dorthin. Trotzdem: Unproblematisch ist es nicht und wird es auch nie sein.

Der Duft von orientalischen Gewürzen liegt in der Luft, gemischt mit zwei Spritzern zu viel billigem Parfüm, das penetrant nach Vanille und Moschus riecht. Links und rechts der Kaiserstraße reihen sich eher ungepflegte, in die Jahre gekommenen Häuser aneinander, geradeaus ragt der Commerzbank-Tower wie ein überdimensionaler Legostein empor.

Das Frankfurter Bahnhofsviertel ist als „Schmuddelecke“ bekannt, aber mittlerweile auch als „Place to be“. Gegensätzlicher kann ein Stadtteil nicht sein – und das macht ihn attraktiv. Seit etwa vier Jahren ist das Viertel bei Touristen wieder „in“, sagt Elena Holschier-Rupprecht von der Frankfurter Congress- und Tourismusagentur. Vor allem Blogger zieht es unter anderem wegen der vielfältigen Gastro-Szene dorthin. In den hippen Restaurants schießen sie dann mindestens 50 Fotos von ihrem Essen und jagen es in die sozialen Medien.

Immer mehr Menschen möchten auch langfristig dort leben. Das liegt nach Einschätzung von Mark Gellert, Sprecher des städtischen Planungsdezernats, auch an zwei Frankfurter Förderprogrammen, die 2005 aufgelegt worden waren. Die Idee war es, gewerbliche, zum Teil ungenutzte Flächen zu Wohnungen umzufunktionieren. Bis heute wurden rund 300 neue Wohnungen errichtet. Altbauten wurden aufwendig saniert, und es entstanden Grünflächen.

So wurde das Viertel nach und nach auch für die Mittelschicht attraktiv. Aktuell leben in dem Gebiet rund um den 1888 errichteten „Centralbahnhof Frankfurt“ fast 4.000 Menschen. Mit der Nachfrage steigen allerdings auch die Mieten. Mit etwa 18 Euro pro Quadratmeter müssen Interessierte rechnen, für viele ist das unbezahlbar. Gentrifizierung nennt man diesen Prozess im Fachjargon, bedeutet: durch die Aufwertung eines Stadtviertels werden bisherige Bewohnerinnen und Bewohner vertrieben.

Genau das befürchtet Jürgen Mühlfeld, der Leiter des Diakoniezentrums „Weser 5“. Seine Kolleginnen und er verstehen sich als „Anwälte der Obdachlosen“. Im Tagestreff Weißfrauen und dem Wohnheim können Menschen ohne Wohnung Unterschlupf finden. Mühlfeld sieht die Entwicklung zum „Schicki-Micki“-Viertel kritisch, weil das immer mehr Menschen in die Wohnungslosigkeit treibt.

Berühmt-berüchtigt ist das Viertel für seinen Rotlicht-Anteil und die zahlreichen, meist osteuropäischen Prostituierten. Der Job in den Laufhäusern ist zwar ihre Existenz, allerdings herrscht dort in der Regel ein Kommen und Gehen. Oftmals wandern die Frauen nach ungefähr fünf Wochen in die nächste Stadt und dort in das nächste Laufhaus, so die Informationen des Prostituiertenberatungsvereins „Dona Carmen“.

Offiziell möchte niemand die Prostituierten, Obdachlosen und „Junkies“ vertreiben. Das macht aus der Sicht von Gunter Volz, Pfarrer für gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche Frankfurt, auch keinen Sinn: „Die Menschen sind nun einmal da. Wenn sie hier weggehen, gehen sie woanders hin.“

So einfach ist es aber nicht. Immer wieder beschweren sich Anwohner über krakeelende „Junkies“ vor ihrer Haustür oder eingeworfene Fensterscheiben. Dem versucht die Polizei seit einem Jahr mit etwa 100 Beamten entgegenzuwirken, die sich ausschließlich um das Bahnhofsviertel kümmern. Ab diesem Herbst soll es eine neue Anlaufstelle geben, mit der die Polizei noch mehr Präsenz zeigen und sich der Drogenszene widmen will.

Trotz Optimismus und konkreten Plänen sind sich alle bewusst: Das Bahnhofsviertel ist und bleibt ein „Problemviertel“. Ein erster Lösungsschritt ist nach Ansicht von Pfarrer Volz zunächst einmal das Wahrnehmen der Realität. Jeden ersten Montag im Monat trifft er sich gemeinsam mit Anwohnerinnen und Menschen, denen das Quartier genauso am Herzen liegt wie ihm selber. „Werkstatt Bahnhofsviertel“ nennt sich dieser Kreis. Gemeinsam sprechen sie über Konflikte und suchen nach Lösungen.

„Die Kirche lebt nicht im luftleeren Raum, sondern möchte ihr soziales Umfeld aktiv mitgestalten“, betont Volz. Auch Jürgen Mühlfeld von „Weser 5“ macht sich für den Dialog und für Begegnungen zwischen Bewohnern und Obdachlosen stark. Ein gutes Beispiel ist seiner Meinung nach das Projekt „Straßenblick“. Dabei bietet ein ehemals Wohnungsloser Stadtführungen im Bahnhofsviertel an und berichtet über sein früheres Leben auf der Straße.

Statt das Bahnhofsviertel von einer in eine andere Richtung zu lenken, muss die Lösung heißen: miteinander im Gespräch sein und – wie Pfarrer Volz ergänzt – es auch bleiben. Ein Nebeneinander von verschiedenen Menschen und Kulturen ist ein Anfang, ein Miteinander wäre ein Fortschritt.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 7. September 2017 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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