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Von – 22. Dezember 2016

Fürchtet euch nicht: Selten war Weihnachten so wichtig wie 2016

Manche fragen, wie man angesichts von Terror, Krieg und Populismus im Jahr 2016 überhaupt Weihnachten feiern kann. Besinnlich beisammensitzen, Lieder singen und Gans essen, während gleichzeitig das Grauen herrscht? Doch genau andersrum wird ein Schuh daraus: Selten war die Weihnachtsbotschaft so wichtig wie in diesem Jahr.

Krippe und Engel in der Weißfrauen Diakoniekirche (Gutleut-/Ecke Weserstraße). Hier findet an Heiligabend eine „lange Nacht“ für Menschen mit und ohne Wohnsitz statt. Nach einem Gottesdienst um 19 Uhr gibt es Weihnachtsessen und Kulturprogramm, dann kann man in der Kirche übernachten und morgens noch Frühstücken. Foto: Rolf Oeser

Viele machen bereits sarkastische Witze darüber, wie schrecklich das Jahr 2016 war. Nicht nur sind gefühlt dreimal so viele liebenswerte Prominente gestorben wie sonst – von David Bowie über Roger Cicero bis Zsa Zsa Gabor. Es ist auch politisch so manches passiert, was vielen Menschen Angst macht, zum Beispiel die Wahl eines unberechenbaren Multimilliardärs zum Präsidenten von Amerika.

Auch für Deutschland war 2016 kein gutes Jahr: Es begann mit den gewalttätigen, teils sexualisierten Übergriffen gegen hunderte Frauen in der Silvesternacht und endete mit einem Terroranschlag mit zahlreichen Toten und Verletzten auf einem Berliner Weihnachtsmarkt. Die politische Stimmung in vielen Ländern, und auch bei uns, wird immer aufgeladener, populistische Tiraden treten allzuoft an Stelle von sachlicher Diskussion. Es ist zum Fürchten.

Aber genau das sollen wir nicht, jedenfalls wenn wir dem Engel aus der Weihnachtsgeschichte glauben, der zu den Hirten auf den Feldern bei Bethlehem sagt: „Fürchtet euch nicht!“ Ein Satz, der in den vergangenen Tagen auch auf vielen säkularen Titelseiten und in Überschriften zu lesen war.

Je mehr Angst, um so leichter kann man Stimmung machen

Aber wie soll man sich nicht fürchten in einer Zeit, in der so viel Beängstigendes geschieht? Und in der Tat, es gibt auch Stimmen, die anderes sagen. „Angst“ war in riesigen Lettern auf Deutschlands großer Boulevardzeitung zu lesen, und auch so mancher Politiker versuchte, die Stimmung aufzuheizen: Je mehr Angst die Leute haben, so das Kalkül, umso leichter sind sie für fremdenfeindliche, restriktive politische Maßnahmen zu gewinnen.

Die Frage, ob man sich nun fürchten soll oder nicht, scheint in diesem Jahr weniger eine spirituelle als vielmehr eine politische zu sein. Aber die Grenzen verlaufen dabei nicht zwischen Rechts und Links. Ja: In der Frage, wie viel Angst wir vor islamistischem Terror haben müssen, plädieren die Rechten für Angst, und die Linken für Besonnenheit. Aber in der Frage, wie viel Angst wir vor einem Anstieg des Rechtspopulismus oder gar eines neuen Faschismus haben müssen, vor Le Pen, der AfD oder Trump, da verläuft die Linie anders herum: Da befällt eher die Linken die Furcht, während die Rechten das alles entweder sowieso toll finden, oder zumindest der Ansicht sind, es werde schon nicht so schlimm kommen.

In beiden Fällen werfen die Angsthaber und Angstmacherinnen den Furchtlosen Naivität vor, eine Verharmlosung der Umstände, Ignoranz gegenüber der wahren Gefahr – wahlweise eben der Gefahr des islamistischen Terrors oder der Gefahr eines neuen Faschismus. Und in weltlichen Mustern gedacht, würde das auch stimmen.

Der Engel sagt nicht: Es gibt keine Gefahr

Aber die Aufforderung „Fürchtet euch nicht“ ist eben – wenn man sie zu ihrem Ursprung verfolgt – keine einfach nur politische, sondern eine religiöse. Der Satz geht ja noch weiter. Der Engel sagt: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“

Der Engel sagt also keineswegs: „Habt keine Angst, denn es besteht gar keine Gefahr.“ Der Engel weiß genau, dass die Hirten, so wie wir alle, sehr wohl Grund haben, sich zu fürchten. Der Witz an der Weihnachtsbotschaft ist, dass sie uns sagt: Wir können die Gefahr ernst nehmen und müssen uns trotzdem nicht fürchten. Denn es gibt einen Heiland, einen Erlöser, und zwar Christus. Diejenigen, die den Text damals schrieben und hörten, wussten, wer damit gemeint war: Jesus aus Nazareth, der verkündigt und vorgelebt hatte, wie man den Problemen der Welt begegnen soll – mit Nächstenliebe, Gemeinschaftlichkeit, Frieden, Gottvertrauen und einer Orientierung hin auf etwas, das größer ist als die irdischen Kleinlichkeiten von Macht, Ruhm und Geld.

Das Vertrauen auf die Kraft einer solchen Lebensweise, so verspricht die Weihnachtsbotschaft, wird am Ende gewinnen. Das kann man glauben oder nicht. Wir Christinnen und Christen sollen es jedenfalls glauben. Wir sollen diejenigen sein, die sich nicht fürchten, obwohl wir genau wissen, wie schlimm und verfahren die Probleme der Welt sind.

Selten war die Botschaft von Weihnachten so aktuell wie 2016, dem Jahr, wo die Welt uns wirklich das Fürchten gelehrt hat. Wir feiern nicht trotzdem Weihnachten. Sondern genau deshalb.

Weiterlesen: Ansprache von Stadtdekan Achim Knecht in einem Gottesdienst zum Gedenken an die Opfer des Anschlags in Berlin

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 22. Dezember 2016 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.