Es geht zu wie auf einem Dorfplatz. Man grüßt sich, sagt sich „Guten Tag“, bei manchem hält man sich ein wenig auf, andere nimmt man kaum zur Kenntnis. Manche erzählen einem, was sie bedrückt, andere bringen einen zum Lachen: Soziale Netzwerke im Internet sind eine Gabe Gottes.
Jeden Morgen, wenn ich mich an meinen Schreibtisch setze, rufe ich ein „Guten Morgen, Welt!“ in die Welt hinaus, danach ein „Guten Morgen, lieber Gott“. Danach grüße ich einzeln die Menschen, die schon versammelt sind und die ich kenne. (Michael, ein erklärter Atheist aus Franken, hat mich schon oft für diese Reihenfolge getadelt.) Aus allen Ecken kommt mir dann ein „Guten Morgen @pfarrerpohl“ entgegen. Bäckermeister Utters ist immer schon vor mir da, er hat schon in der Backstube gestanden. Ein junger Pfarrer aus dem Vogelsberg klagt über die Kälte beim Schneeschippen, und eine Frau aus der Gemeinde erzählt, was sie gerade mit ihren Kindern erlebt hat.
Neulich habe ich mich mit ein paar meiner Bekannten aus den sozialen Netzwerken, aus Facebook und Twitter, verabredet. Es war eine bunte Mischung: Eine Redakteurin, eine junge Frau aus der IT-Branche, eine Bibliothekarin, ein Betriebsrat und eben ich saßen einen Abend bei einem kleinen Spanier. Wir wollten uns mal im „real life“, im „wirklichen Leben“ kennen lernen.
Viele glauben ja, Kommunikation im Internet sei nur „virtuell“ und nicht das „wirkliche Leben“. Der Verdacht lautet: Das sei das Ende jeder echten Unterhaltung, denn Menschen müssten einander von Angesicht zu Angesicht sehen. Im Internet verlerne man geradezu die menschliche Kommunikation. Man werde süchtig und säße schließlich nur noch vor seinem Bildschirm – ein Schreckgespenst! Eine andere Kritik lautet: Du wirst zum gläsernen Menschen, all deine Daten werden gesammelt. Was einmal im Internet steht, bleibt da sozusagen „in Ewigkeit“. Irgendwann wird das alles einmal gegen dich verwendet werden.
Ich sehe das anders und möchte auch anderen Lust machen, einfach einmal reinzuschnuppern. Ich kann jedenfalls sagen: Es macht Spaß. Christen haben von Anbeginn die Medien genutzt, um miteinander zu kommunizieren. Wie anders hätten sie das machen sollen? Schließlich ist die Christenheit selbst ein soziales Netzwerk. Paulus hat Briefe geschrieben und in die Welt geschickt. Heute würde er wohl – zusätzlich – einen Blog im Internet schreiben und gäbe so allen Menschen die Gelegenheit, ihm zu antworten und mit ihm zu diskutieren.
Martin Luther musste seine Thesen noch an eine Tür nageln und darauf hoffen, dass genügend Menschen vorbeikommen, um sie zu sehen und zu verbreiten. Heute würde er sie twittern, und in Minutenschnelle würden sie sich verbreiten. Man mag das für überzogen halten. Aber genau deshalb wurde in Ägypten das Internet abgeschaltet. Und: Die Menschen finden trotzdem Möglichkeiten, über ihre sozialen Netzwerke Nachrichten zu verbreiten.
Meine Großeltern lebten früher 120 Kilometer entfernt. Wir mussten ihnen einen Brief schreiben oder eine vierstündige Zugfahrt unternehmen, um mit ihnen in Kontakt zu kommen. Als meine Tochter für ein Jahr in Australien war, schrieb ich zum ersten Mal im Leben eine SMS – und eine Minute später hatte ich eine Antwort. Ist das nicht wunderbar? Heute lebt sie in Wien. Wir beide kommunizieren „auf allen Kanälen“. Zum Geburtstag, zu Nikolaus und Ostern Briefe. Telefonate müssen wir vorher vereinbaren, denn sie arbeitet im Schichtdienst, und ich habe einen vollen Terminkalender, den sie nicht kennt. Wir schicken uns SMS und sprechen miteinander in Facebook. Nur für schwierigere Angelegenheiten schicken wir uns Mails.
Ich sehe die Gefahren, die ich oben beschrieben habe. Trotzdem glaube ich: Auch die neuen Medien sind eine Gabe Gottes. Wie alle guten Gaben können sie missbraucht werden und sind nur in Maßen genießbar. Aber scheuen sollten wir uns nicht vor ihnen.