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Aktuell

Von – 1. Juni 2000

Genießen statt verplempern

Segeln, Surfen, Nachtleben – soll Urlaub wirklich die Fortführung des hektischen Lebens mit erhöhtem Geldeinsatz sein? Die Seele baumeln zu lassen, tut gut – wenn sie dagegen in dem Netz zappelt, das eigenes Wunschdenken und die Werbung der Freizeitindustrie geknüpft haben, ist Enttäuschung vorprogrammiert.

Wilfried Steller ist Pfarrer der Glaubenskirchengemeinde in Fechenheim-Nord

Urlaub: Heraus aus Hektik und Schnelllebigkeit! Wo im Alltag Eile das Tempo beim Einkaufen, Arbeiten und Lieben bestimmt und die Tage vollgepackt sind bis zum Bersten, da ist im Urlaub alles anders: Sonne, Strand und Palmen. Aufstehen und schlafen, wann man will. Endlich ein anderer Lebens-Rhythmus, endlich selbstbestimmte Tage! Eddlich wieder Mensch sein und nicht mehr Sklave!

Doch ist im Urlaub wirklich alles anders? Beim letzten Frankreich-Urlaub auf der Autobahn in Richtung Süden: Autos Stoßstange an Stoßstange bei Tempo 140. Zwölf Stunden Stress pur! Urlaub ist kostbare Zeit – und teure dazu. Also muss sie auch ausgenutzt werden. Zu viel wurde über lange Monate hinweg versäumt und aufgeschoben: Segeln, Surfen, Nachtleben – einfach seine Freiheit ausleben!

Unübliche Akzente setzen

Statt es im Urlaub noch toller zu treiben als im Arbeitsalltag, sind jedoch gegensätzliche Akzente sinnvoll: Konzentration zum Beispiel. Das heißt: Statt des Surfens über eine große Oberfläche tiefes Eintauchen an einer ausgewählten Stelle: weniger rastloses Sightseeing und ganze Salven von Kicks als vielmehr Konzentration auf einen Ort, ein Gebäude, ein Bild, ein Buch, ein Thema. Es ist mit dem Urlaub wie bei der Partnerwahl, wo man aus der Vielzahl bewusst auswählt und sich auf einen Menschen konzentriert, um mit ihm alleine mehr zu erleben, als mit allen anderen zusammen.

Zwar hat man Angst, viele Möglichkeiten und Angebote zu versäumen, wenn man sich nur einem einzigen widmet. Aber gerade beim In-die-Tiefe-Gehen eröffnen sich neue Welten. Weniger ist in der Tat mehr. Viele oberflächlichen Erfahrungen können nicht aufwiegen, was intensive Begegnung da geben kann, wo ich nicht alles lediglich streife, sondern mich als Mensch mit Leib und Seele einlasse. Wo ich selbst bei der Sache bin, da hüpft die Seele.

Ein weiterer Akzent ist die Langsamkeit. Statt atemlosen Hetzens also Gemächlichkeit und Beschaulichkeit. Langsameres Erleben heißt auch im Urlaub intensiveres, reicheres Erleben. Und wie langsames Essen gesünder ist als schnelles Schlingen, so fördert Langsamkeit die seelische Gesundheit. Wer langsam betrachtet, sieht mehr, kostet aus, gewinnt einen persönlichen Bezug zu dem, was er sieht. Der Verzicht auf Tempo eröffnet andere Ausblicke und lässt die Umgebung intensiver erleben:

Eine Aussicht lange in sich aufnehmen, würzige Luft atmen, Insekten und Vögel beobachten, die Eigenheiten einer Gegend mit allen Sinnen wahrnehmen – das ist ganzheitlicher, als im Flieger nur den Blick nach unten zu haben oder auf der Autobahn Benzindämpfe zu schnuppern. Es schafft innere Nähe. Ich erinnere mich zum Beispiel nach einer langen Autofahrt an die Raststellen deutlicher, als an die vielen Landschafts- Silhouetten, die auf dem Weg an mir vorüber gezogen sind. Der Wanderer macht sich eine Landschaft zu eigen, die dem Autofahrer und erst recht dem Flieger letztlich immer fremd bleiben wird. Und sehnen wir uns nicht ohnehin im Grunde viel mehr nach Heimat, als dass wir die geborenen Weltenwanderer sind? Im Urlaub ein Stück Heimat finden, einen Ort, an dem gut bleiben ist – da kann die Seele baumeln.

Als dritten Akzent nenne ich die Vision. Damit die kostbare Zeit nicht dahin plätschert und vergeudet wird, muss ich eine Idee haben, was ich im Urlaub brauche und was Sinn gibt, was mein Thema ist. Dann gewinnt die Aus-Zeit eine Gestalt und entspricht auch meinen Bedürfnissen. Womöglich ist einer beschädigten Partnerschaft das kleine Waldhotel im Schwarzwald dienlicher als eine Fern-Ost-Reise. Das Geld ist richtig angelegt, wenn ich meinem Ziel näher gekommen bin. Urlaub ist Balsam für die Seele, wo Verwundungen geheilt werden.

Aus Gottes Hand genießen

Ein Urlauber hat einiges gemein mit einem Künstler, der an einer Skulptur arbeitet oder an einem Bild. Auch er konzentriert sich auf eine einzige Sache. Jeden Strich, jeden Handgriff führt er mit Bedacht, so dass alles auf das vollendete Ganze zu führt, auf die Vision, die den Künstler leitet und motiviert. Ein gelungener Urlaub ist wie ein gelungenes Kunstwerk: Wir machen etwas aus der uns zur freien Verfügung geschenkten Zeit.

Der Prediger Salomo hat entdeckt: Wenn ich etwas Schönes und Gutes erlebe, dann ist das eine gnädige Gabe Gottes, die ich nicht gering schätzen oder verplempern sollte, sondern dankbar genießen darf (Kapitel 3, Verse 12f). Stress und Hetze gibt es tagtäglich ohnehin genug. Um so mehr gilt es, die Urlaubszeit als eine Zeit ganz anderer Schwerpunkte und Möglichkeiten aus Gottes Hand anzunehmen, zu würdigen und auszukosten, um – wie ein Künstler bei seiner Arbeit – intensiv bei sich selbst zu sein.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juni 2000 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.