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Aktuell

Von – 1. Juni 2000

Wieso eigentlich allein?

Die Zahl der allein erziehenden Mütter und Väter ist im letzten Jahrzehnt deutlich angestiegen. Inzwischen leben in Deutschland über 1,8 Millionen Mütter und Väter mit 2,6 Millionen Kindern unter 18 Jahren alleine. Das heißt: Alleinerziehende werden immer mehr. Trotzdem klingt der Begriff noch immer defizitär. Doch was fehlt Alleinerziehenden wirklich? Und – was heißt hier überhaupt allein?

Birgit W., eine allein erziehende Mutter, berichtet von einem bevor stehenden Familienfest: Soll sie den Vater ihrer Kinder einladen? Kann sie um der Kinder Willen den Streit um Unterhaltszahlungen ignorieren? Phillip M., allein erziehender Vater, befürchtet, dass die plötzliche Weigerung seines fünfjährigen Sohnes, ihn zu besuchen, auf die Einflußnahme der Mutter zurück zu führen ist. Sabrina F. schließlich hat materielle Sorgen: Sie muss in eine billigere Wohnung umziehen – aber die liegt in einem sozialen Brennpunkt.

Die Angst vor dem sozialen Abstieg ist gerade bei Frauen mit Kindern nicht unbegründet. Fast jede dritte Mutter, die ihre Kinder allein erzieht, lebt zwar nicht ausschließlich aber eben doch auch von staatlicher Hilfe. Laut Statistik des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung haben nur zehn Prozent der allein Erziehenden mehr als 2600 Mark im Monat zur Verfügung. Demgegenüber leben siebzig Prozent von weniger als 1900 Mark.

Doch immer mehr Frauen wollen nicht nur die negativen Seiten ihrer Situation sehen. Viele von ihnen ziehen auch eine positive Bilanz: „Wir haben einen schweren Stand. Aber wir sind nicht allein erziehend. Wir leben mit veränderten verwandtschaftlichen Beziehungen und in einem Netz von Freundschaften. Jetzt ist es an der Zeit , unseren Familienstand in der Fülle der Möglichkeiten zu betrachten: Wir haben eine Lebenskrise bewältigt. Unsere Kinder haben Erfahrungen im Umgang mit Trennung und Neuanfangen gemacht. Wir organisieren und gestalten mit einem äußerst knappen Familienbudget das Zusammenleben mit Kindern in dieser reichen Stadt. Die Freundschaft ist die eigentliche Verwandtschaft, Verwandtschaft kann freundlich gestaltet werden.“

Wird hier wie im Märchen Stroh zu Gold versponnen? Keineswegs. Allein erziehend zu sein, das ist längst ein ganz reales Familienmodell geworden. Jetzt geht es darum, diesen neuen Alltag sinnvoll zu gestalten. In Frankfurt finden allein erziehende Mütter und Väter heute zahlreiche Orte der Begegnung, Gruppen, in denen Hilfe zur Selbsthilfe möglich wird – zum Beispiel in der evangelischen Familienbildung, aber auch anderswo. Orte, wo sie sich realistisch darüber klar werden können, was wirklich oder vermeintlich fehlt und über das, was (neu) gestaltet werden kann. Der Begriff „allein erziehend“ hat noch immer einen schlechten Klang. Aber das muss ja vielleicht nicht so bleiben.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Juni 2000 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe .

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