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Aktuell

1. Oktober 2008

„Andere Chancen habe ich nicht“

p(einleitung). Der Frankfurter Berg ist schon längst nicht mehr Frankfurts Problemstadtteil Nummer eins. Trotzdem haben es die Jugendlichen, die hier wohnen, oft schwer – vor allem beim Übergang von der Schule ins Berufsleben.

„Mit schlechten Noten hat man keine Chance auf einen Ausbildungsplatz“, sagt Tarun (Name geändert). Der 18-Jährige kam erst vor wenigen Jahren mit seinen Eltern aus Sri Lanka nach Deutschland, zuhause kann er sich nicht bei Schulsachen helfen lassen. Anders als viele seiner Freunde hat er jetzt bei der Ausbildungssuche Glück gehabt: Nach einem Praktikum in einer Autowerkstatt bot man ihm dort eine Ausbildung zum Automechaniker an. Wenn Tarun die zehnte Klasse abgeschlossen hat, wird er dort anfangen. Sein Traumberuf ist es nicht gerade, aber er bleibt realistisch: „Eine andere Chance habe ich nicht.“

!(rechts)2008/10/seite03_oben.jpg(Vor allem Jungsen frequentieren das Jugendhaus am Frankfurter Berg. Besonders gerne nutzen sie den Computerraum mit Internetzugang oder trainieren im Kraftraum. | Foto: Rolf Oeser)!

Der Übergang von der Schule zum Beruf sei der besondere Knackpunkt im Leben vieler Jugendlichen, sagt Angela Koch. Sie leitet das Jugendhaus des Evangelischen Vereins für Jugendsozialarbeit in der Julius-Brecht-Straße. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen und zwei Kollegen organisiert sie hier Angebote für 16- bis 20-Jährige, die ihnen dabei helfen sollen.

Besonders wichtig seien die Möglichkeiten der freien Computer- und Internetnutzung, zum Beispiel für Referate, sowie die Hilfe bei Hausaufgaben, Bewerbungen und anderen schulischen und nicht-schulischen Problemen. „Die Eltern haben in vielen Fällen selbst keine Ausbildung und können ihren Kindern so auch nicht die Fähigkeiten vermitteln, die man auf dem Arbeitsmarkt benötigt“, sagt Koch.

Taruns Freunde, mit denen er sich häufig im Jugendhaus oder auch draußen in der Stadt trifft, haben größtenteils schlechte Zeugnisse und daher kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz oder eine weiterführende Schule. „Dann arbeiten sie irgendwo für ein oder zwei Jahre schwarz und haben dann auch keine Lust mehr auf Schule und Ausbildung“, erzählt Tarun. „Oder sie bauen richtigen Mist und landen im Knast.“

Die Jugendlichen, die Anfang des Jahres einen U-Bahn-Fahrer in Heddernheim schwer verletzten und später noch einen Mann niederstachen, kennt er, zählte sie früher zu seinem Freundeskreis. Aber vom Frankfurter Berg seien die nicht gewesen: „Solche Leute gibt’s hier nicht, hier ist es besser“, ist Tarun überzeugt. Gerade deshalb komme er immer noch nach der Schule hierher, obwohl seine Familie mittlerweile in Ginnheim wohnt: „Hier ist es ruhig.“

!(rechts)2008/10/seite03_mitte.jpg(Kunst lockert grau auf: Der Frankfurter Berg mit seinen Hochhäusern galt früher als sozialer Brennpunkt. Inzwischen ist die Lage am Stadtrand auch bei der Mittelschicht wieder beliebt. | Foto: Rolf Oeser)!

Als akuten sozialen Brennpunkt könne man den Frankfurter Berg nicht mehr bezeichnen, bestätigt auch Angela Koch. Die Hochhaussiedlung sei durch die Wohnraumprivatisierung sehr „befriedet“ worden. Die neuen Vermieter stellten hohe Anforderungen an diejenigen, denen sie ihre Wohnungen vermieten, das mute teilweise schon „regelrecht spießig“ an. Dementsprechend gebe es auch kaum noch schweren Ärger mit Jugendlichen. Vor einigen Jahren habe das noch ganz anders ausgesehen, da habe man des öfteren auch ein Hausverbot aussprechen müssen.

Wie viele andere nimmt Tarun im Jugendhaus auch die Möglichkeit wahr, im Kraftraum zu trainieren. Sport und körperliche Fitness sind für viele Jugendliche sehr wichtig. Neben den Computer- und Hausaufgabenräumen, einer Küche und einem kleinen Café mit Sofaecke gibt es im Jugendhaus deshalb auch einen großen Raum für Tischtennis und Billard, einen Kraft- und einen Boxraum. Ein neues Sportkonzept soll helfen, den Begriff „Fitness“ in den Köpfen der Jugendlichen zu erweitern, ihn nicht nur auf Fußball und Gewichtestemmen zu beschränken. Die Betreuerinnen und Betreuer sind froh, wenn Jugendliche erkennen, dass der Sport ein gesundes Ventil für ihren Frust sein kann.

Deutlich mehr Jungs als Mädchen kommen ins Jugendhaus. „Während die Mädchen sich die Angebote sehr spezifisch nach ihren Bedürfnissen heraussuchen, kommen die Jungs auch einfach nur zum Rumhängen. Dazu gehen die Mädchen lieber auf die Zeil“, sagt Koch. „Die wollen hier nicht ihren hängengebliebenen Brüdern begegnen, das haben sie zuhause schon oft genug.“ Unter anderem deshalb soll in Zukunft im Jugendhaus auch verstärkt auf die Bedürfnisse von Mädchen eingegangen werden, zum Beispiel soll der Boxraum zu einem Mädchenraum umgestaltet werden, in den sie sich zurückziehen und unter sich sein können.

Für die Jugendlichen am Frankfurter Berg bietet der Evangelische Verein für Jugendsozialarbeit außer dem Jugendhaus in der Julius-Brecht-Straße 10 (für Jugendliche im Alter von 16 bis 21) auch das Teenie-Café Edwards Garden in der Sonnentaustraße 26 (für die 10- bis 16-Jährigen). Andere Angebote gibt es nicht im Stadtteil. „Darum treffen wir uns oft auch draußen auf der Straße”, sagt Tarun, „das ist auf jeden Fall besser als zuhause.”

p(autor). Sara Wagner

h2. Ein Stadtteil wandelt sich

Die Schlagzeilen hallen noch in den Köpfen: „Jugendliche Schläger verletzten in Frankfurt einen U-Bahnfahrer schwer“. Als es hieß, die Täter stammten unter anderem vom Frankfurter Berg, schien sich niemand zu wundern: Hatte der nordöstliche Stadtteil, zwischen Eckenheim und Bonames, doch lange einen Ruf als sozialer Brennpunkt.

Die (damals noch unbeliebte) Stadtrandlage, zu der auch Sozialbausiedlungen in Hochhäusern aus den 1960er Jahren gehörten, machten den Frankfurter Berg für betuchteres Publikum wenig attraktiv. Die Wohnungen wurden daher vor allem „sozial problematischen“ Familien zugewiesen. Innerhalb des Viertels entstanden verschiedene Milieus, die Hochhaussiedlung wurde zu einer Art Ghetto.

Seit einigen Jahren wird jedoch gezielt an einer Imageaufwertung des Frankfurter Bergs gearbeitet. Durch Stadterweiterung, Wohnraumprivatisierung, Neubauten und eine bessere Verkehrsanbindung versucht man, den Stadtteil interessant zu machen, und das mit Erfolg: Vor allem junge Familien mit gehobenem Einkommen ziehen neuerdings auf den Frankfurter Berg. Sie schätzen besonders die gute Anbindung in die Innenstadt bei gleichzeitiger Nähe zur Natur.

p(autor). Sara Wagner

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Oktober 2008 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Annette Püntmann schrieb am 17. November 2008

    Zu diesem Artikel möchte ich doch anmerken, dass hiermit die Vernichtung öffentlich gefördertem Wohnraum wohlwollend dargestellt ist. Haben Sie mal überlegt, warum die Familie von Tarun nach Ginnheim gezogen ist? Und dass jetzt, nachdem die Wohnungen privatisiert sind, der Stadtteil schöner und attraktiver gemacht werden wird. Wie kommt es dazu?