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1. Oktober 2008

„Nicht alleine alt werden“

p(einleitung). Henning Scherf warb in der Diakoniekirche für neue Wohnformen

„Die meisten Menschen sind im Alter eher unter- als überfordert“, ist Henning Scherf überzeugt. Der frühere Bürgermeister von Bremen erzählte in der Weißfrauen- Diakoniekirche im Bahnhofsviertel von seiner vor zwanzig Jahren gegründeten Alters-Wohngemeinschaft und warb dafür, das Alter aktiv zu gestalten. Der Angst vor dem eigenen Altern und der Panik vor einer immer älter werdenden Republik stellt Scherf ein neues Altersbild entgegen.

!(rechts)2008/10/seite12_unten.jpg(Henning Scherf, ehemaliger Bremer Bürgermeister, warb in der Weißfrauen-Diakoniekirche für neue und unkonventionelle Altersbilder. | Foto: Ilona Surrey)!

Sein positiver und kreativer Umgang mit dem heiklen Thema bescherte seinem Buch „Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist“ 32 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste und 90000 verkaufte Exemplare. Dabei geht Scherf ganz von den eigenen Erfahrungen aus. Seinen Ausstieg aus der Politik hat er gezielt vorbereitet. Der 70-Jährige ist ehrenamtlich Präsident mehrerer Organisationen, fährt Rennrad, lernt Orgelspielen und Aquarellmalen, verbessert sein Englisch in einem Konversationskurs und engagiert sich im ökumenischen Lehrhaus Bremen.

Scherfs wichtigstes Projekt ist aber das gemeinsame Wohnen: Mitte vierzig, die Kinder waren inzwischen ausgezogen, fingen er und seine Frau an, mit Freundinnen und Freunden zu diskutieren, wie sie im Alter leben wollten. Nach fünf Jahren intensiver Gespräche, gemeinsamer Aktivitäten und Urlaube war es soweit: Fünf Parteien (darunter auch Singles) kauften eine alte Stadtvilla in der Bremer Innenstadt und bauten sie altersgerecht um. Es gibt vier Eigentümer und zwei Mieter.

Anfänglich war geplant, Gemeinschaftsräume einzurichten, jetzt sei es aber so, dass jede Partei ihre eigene Wohnung und Rückzugsmöglichkeit habe, auch wenn die Türen zum Treppenhaus häufig offen stünden und man sich jederzeit gegenseitig besuchen könne. Am Samstagmorgen gebe es reihum ein Frühstück für alle, Donnerstagmittag werde jeweils in einer Wohnung zusammen gekocht. Einen solchen „Jour fixe“, ermunterte Scherf sein Publikum, könne man übrigens auch mit Freunden und Nachbarinnen einrichten, wenn man nicht zusammen wohnt.

In dem Bremer Wohnprojekt sei es möglich, bis zu zwanzig Gäste unterzubringen. Bekannte, Enkel und Kinder (die ihre Eltern anfangs noch für „postpubertäre Romantiker“ gehalten hätten) seien mittlerweile untereinander befreundet. Die Hausgemeinschaft sei auch auf Sterbegleitung und Demenz eingestellt, was allerdings keineswegs leicht sei. Sie könnten auch eine Haushalts- und Pflegehilfe aufnehmen.

Im Experimentieren mit neuen Wohnformen sieht Scherf einen zukunftsweisenden Trend. So habe die Bertelsmann-Stiftung bereits 9000 Projekte von integriertem Wohnen im Alter untersucht und in einer Studie dargestellt. Alternative Wohnformen könnten der Vereinsamung, der Langeweile, der Trennung zwischen Alt und Jung sowie dem Pflegenotstand vorbeugen. Es gebe genügend Möglichkeiten, ein hohes Maß an Individualität und Freiheit zuzulassen. Scherf ist überzeugt, dass seine persönlichen Erfahrungen übertragbar sind. Natürlich müsse nicht jeder im Alter in eine WG ziehen, aber es müsse auch niemand alleine alt werden oder ins Heim gehen.

p(autor). Stephanie von Selchow

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. Oktober 2008 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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