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Aktuell

1. April 2009

Vorreiter der sozialen Marktwirtschaft

p(einleitung). Über den Einfluss des Reformators Johannes Calvin auf den Kapitalismus

Auf dem Höhepunkt von Fasching zu einem Vortrag über „Geld und gute Worte – Calvins Wirtschaftsethik und ihre Impulse für die Moderne“ einzuladen – das ist wohl so etwas wie die Anwendung des den Protes­tanten nachgesagten Arbeitsethos. Der Wuppertaler Theologe und Calvin-Experte Matthias Freudenberg entlarvte dieses Klischee jedoch bei seinem Vortrag in der gut besetzten reformierten Kirche im Westend als Vorurteil.

Aus Anlass des 500. Geburtstags von Johannes Calvin führte Freudenberg in das Denken des Schweizer Kirchenreformators ein. Zentral sei die so genannte „Prädestinationslehre“: Calvin war der Überzeugung, dass Menschen an ihrer Fähigkeit zu strengster Pflichterfüllung sehen können, ob sie zum Heil vorausbestimmt sind. Eigentlich wollte er damit die Allmacht Gottes und die Bedeutungslosigkeit des menschlichen Willens betonen. Allerdings beließ es Calvin nicht bei der „inneren Religiosität“, sondern verschaffte seiner Lehre mit Hilfe einer strengen Moral und Kirchenzucht, die er in seiner Heimatstadt Genf einführte, Gültigkeit.

!(kasten)2009/04/seite06_oben.jpg(Ironische Anspielung darauf, dass Johannes Calvin ein Begründer des westlichen Kapitalismus gewesen sein soll: Diesen Kugelschreiber, aus dem sich eine stilisierte Dollar-Note mit dem Portrait des Reformators herausziehen lässt, entwickelte das „Calvin-Büro“ der evangelischen Kirche zum Jubiläum. Er kostet 1,95 Euro und kann im Internet über www.ekmd.de/webshop/catalog bestellt werden. | Foto: epd-Bild / Dieter Sell)!

Entstand damit jenes „protestantische Arbeitsethos“, das die Grundlage für das Gewinnstreben im Kapitalismus bilden würde? Dies jedenfalls ist die populär gewordene These, die der Soziologe Max Weber am Anfang des 20. Jahrhunderts aufstellte. Er hatte beobachtet, dass zwischen gewissen Formen des religiösen Glaubens und der Berufsethik Wahlverwandtschaften bestünden.

Allerdings sei diese These nicht belegbar, sagt Freudenberg. Weber habe lediglich den englischen Puritanismus des 17. und 18. Jahrhunderts analysiert – auch wenn es zweifelsohne richtig sei, dass die Disziplinierung in der Lebensführung bei den Reformierten größer sei als bei den Katholiken, die eine größere Familienorien­tierung hätten.

Calvin könne aber nicht als Vorläufer jenes kapitalistischen Wirtschaftssystems gelten, das derzeit so tief in der Krise steckt. Seine Theologie sei an einer „lebensdienlichen Ökonomie“ ausgerichtet gewesen. Die Erwählungslehre sei nicht auf Erfolg ausgerichtet. Wenn überhaupt, dann habe Calvin eher in Richtung einer sozialen Marktwirtschaft gedacht. So empfahl er den Reichen, „gern und reichlich“ zu geben, und war der Meinung, die Armen sollten „ohne Scheu“ nehmen – „quasi aus der Hand Gottes“. Die moderne Eigentumsverpflichtung habe Calvin vorweggenommen: Alles Eigentum gehöre Gott, und die Menschen sollen damit haushalten. Geld und Reichtum seien somit auch kein Hindernis, um ins Reich Gottes einzugehen. Auch eine Erbschaftssteuer habe Calvin in Betracht gezogen. Und zur Wirtschaftsförderung empfahl er Kleinkredite für Handwerker und Flüchtlinge. Dabei unterschied Calvin zwischen zinslosen Konsumkrediten und zinspflichtigen Produktionskrediten, wobei der Grundsatz zu gelten habe, „dass nur der zahlen müsse, der auch zahlen könne“. Er sah im Eigentum, so Freudenberger, eine gute Gabe Gottes. Als Christ habe man nach Calvin die Pflicht, das Wirtschaftsleben positiv mitzugestalten.

p(autor). Kurt-Helmuth Eimuth

h3. Wie die Welt noch zu retten wäre

Als „Plünderungssystem zu Lasten vieler und zum Nutzen weniger“ bezeichnet der Wirtschaftswissenschaftler Franz-Josef Radermacher aus Ulm den internationalen Finanzmarkt. In der Alten Nikolaikirche beantwortete er die ihm gestellte Frage „Ist die Welt noch zu retten?“ mit einem vorsichtigen Ja – allerdings nur, wenn Regierungen wie Bürgerinnen und Bürger ihr Handeln veränderten. Um die wachsende Armut und einen ökologischen Kollaps zu verhindern, müsse man jener „kleinen Zahl von Akteuren das Handwerk legen“, die wirtschaftliche Effizienzkriterien zum Maß aller Dinge machten, so Radermacher.

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Für die Zukunft berechnete der Experte für Globalisierungsgestaltung drei alternative Szenarien. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ökosysteme kollabieren, bezifferte er auf etwa 15 Prozent. Halbe-halbe stehe die Möglichkeit, dass die Welt auf eine „Brasilianisierung“ zusteuere, also Verhältnisse, in denen wenige Reiche eine ungebildetete und verarmte Masse beherrschen. Und 35 Prozent Chancen räumte Radermacher einer „ökosozialen Weltmarktwirtschaft“ ein, die globale Finanztransaktionen reguliert, nachhaltig wirtschaftet und soziale Unterschiede reduziert.

Die Finanzkrise könne sich als Motor für dieses letzte Modell entpuppen, hofft Radermacher. Noch nie hätten so viele Menschen begriffen, dass „Marktfundamentalismus“ auf Dauer nicht funktioniere. Die Durchsetzung anderer Verhältnisse sei zwar schwierig, dennoch seien verteilungsgerechte Strukturen keine bloße Utopie. Mit einem „fairen Weltvertrag“ könne ein System geschaffen werden, das der gesamten Menschheit ein friedliches und relativ wohlhabendes Leben garantiert.

„Wir müssen uns von der Vorstellung trennen, dass alles so kompliziert zu durchschauen ist“, so Radermachers Appell. Um eine gerechtere Welt zu verwirklichen, müssten die Menschen in den reichen Ländern allerdings ihre „Sahnehäubchen-Ebene“ verlassen. Etwas weniger Flugreisen oder weniger Fleischverzehr könne schon einiges bewirken. Als Lösung für die Probleme will Radermacher den individuellen Verzicht freilich nicht verstanden wissen. „Ohne verbindliche Regelsysteme, also Gesetze, hat die Welt keine Chance.“

p(autor). Doris Stickler

h2. „Bankenschelte einseitig“

p(einleitung). Ethikberater der EZB kritisiert Kirchen

Eine Sensibilisierung für die moralischen Dimensionen von Entscheidungen im Bankgewerbe forderte Peter Schlüter, Finanzexperte und Ethikberater der Europäischen Zentralbank, bei einem Vortrag in der Emmausgemeinde in Eschersheim. Im Hinblick auf die Finanzkrise plädierte Schlüter für ein Regelwerk, um finanzielle Unsicherheiten und falsche Risikobewertungen zu vermeiden, etwa strengere Aufsichtsregeln bei der Eigenkapitalausstattung der Banken.

Schlüter kritisierte jedoch auch die „einseitige Bankenschelte“ mancher Kirchenvertreter: „Da waren sich Bischöfe nicht zu schade, den Bankmanagern veritable Todsünden vorzuwerfen.“ Dabei gebe es keine gesellschaftliche Gruppe, die nicht versucht habe, „auf der Welle höherer Renditeerwartungen mitzusurfen“ – auch wenn sich nicht alle dabei so verspekuliert haben wie die Evangelische Kirche in Oldenburg. Die hatte bei der mittlerweile insolventen US-Investmentbank Lehman Brothers Zertifikate für über vier Millionen Euro erworben. Aber auch das katholische Bistum Mainz habe versucht, die Sanierung des Doms mit risikoreichen Zertifikaten zu finanzieren.

Die Orientierung an ethischen Standards könne bei Bankgeschäften nicht per Gesetz geregelt werden, glaubt Schlüter. „Es kann sich bei ethischen Kodizes nur um freiwillige handeln.“ Auch das Fehlverhalten der Banker, das zur jetzigen Krise geführt hat, hält er für „nicht justiziabel“, denn ein „Vorsatz“ sei schwer nachzuweisen. Die formalen Vorgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht seien in der Regel eingehalten worden. Schlüter hält es in Zukunft für wichtig, sich auf gute kaufmännische Tugenden wie Transparenz und Fairness zu besinnen.

p(autor). Antje Kroll

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. April 2009 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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