Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

1. September 2009

Abkehr vom Antijudaismus

p(einleitung). Die „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ in Frankfurt feiert in diesem Herbst ihr 60-jähriges Bestehen. Petra Kunik, die erste Vorsitzende, erinnert sich an die Anfänge des Dialogs nach der Schoa, dem von den Nationalsozialisten verübten Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden.

Ich bin eine Tochter von Überlebenden der Schoa. Meine kleine Familie wurde im Mai 1945 von den Amerikanern in Magdeburg befreit und ich im Juni mit Hilfe amerikanischer Armee-Ärzte geboren. Ein Freudenfest der Hoffnung. Unser Wohnort wurde 1948 nach Frankfurt am Main verlegt. Ich sage gerne: „Meine Mameloschen (Muttersprache) ist Jiddisch – doch meine Kindergartensprache ist Frankfurter Deutsch“.

!(rechts)2009/09/seite07_links.jpg(Petra Kunik ist Mitglied der jüdischen Gemeinde und Vorsitzende der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Frankfurt am Main“. Als freiberufliche Autorin und Referentin vermittelt sie Wissen über das Judentum. | Foto: Ilona Surrey)!

Damit ich keine Komplexe erleide, wenn ich von den Schicksalen meiner ehemaligen Großfamilie höre, haben meine Eltern ihre Erziehung darauf konzentriert, aus mir einen fröhlichen selbstbewussten jüdischen Menschen werden zu lassen. So war die Erziehung und Bildung für mich in der Hauptsache kulturell jüdisch ausgerichtet. Jüdische Musik, Lieder und biblische Geschichten vermittelte mir mein Vater. Die liebevollen Ausrichtungen der jüdischen Feiertage erlebte ich bei meiner Mutter.

An der Hand meiner Mutter wurde ich dann schon als Kind mit dem christlich-jüdischen Dialog vertraut, zum Beispiel bei Treffen in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Frankfurt am Main. Bei deren Gründung am 3. Februar 1949 war meine Mutter vermutlich dabei. Heute wäre sie bestimmt stolz auf mich – bin ich doch inzwischen deren erste Vorsitzende.

Neben München, Stuttgart und Wiesbaden gehört die Frankfurter Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit zu den ältesten in Deutschland, und auch der Koordinierungsrat der Gesellschaften mit Sitz in Bad Nauheim besteht 2009 seit sechzig Jahren. Ihre Gründung wurde von der amerikanischen Armee angestoßen. Angesprochen fühlten sich Menschen, die nach der Befreiung vom NS-Unrechtsstaat tief erschüttert über die Menschheitsverbrechen waren. Dem Motto der Gründer und Gründerinnen „Mich erinnern – dich erkennen – uns erleben“ sind wir bis heute verpflichtet.

!(kasten)2009/09/seite07_unten.jpg(Eine Gruppe aus dem Evangelischen Frauenbegegnungszentrum besucht die Westend-Synagoge: Gegenseitiges Kennenlernen ist ein wichtiger Bestandteil im christlich-jüdischen Dialog. | Foto: Rolf Oeser)!

In den 1950er und 1960er Jahren gab es in Westdeutschland einen regelrechten Trend zum Dialog mit „jüdischen Gesprächspartnern“. Die Wünsche von nichtjüdischen Menschen oder auch von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern, sich über jüdische Religion und Brauchtum zu informieren, brachten mich schon 1958, mit 13 Jahren, in den Hessischen Rundfunk, in Jugendclubs und zu Erwachsenen, um vom Judentum und meinem Leben in der kleinen jüdischen Gemeinde in Frankfurt zu berichten. Hier erlebte ich ein entscheidendes Grundelement für gesellschaftliche Integration: Interesse und Anerkennung für den anderen.

Damals sahen die Kirchen ihre Aufgabe darin, eine grundlegende Erneuerung im christlich-jüdischen Verhältnis einzuleiten. Vor allem ging es darum, die Ursachen des christlichen Antijudaismus zu erforschen und zu überwinden, der eine Wurzel des politischen Antisemitismus gewesen war. In Deutschland gingen von evangelischer Seite entscheidende Impulse von der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden“ aus. Beim Kirchentag 1961 präsentierte sie sich mit dem Bekenntnis, „dass Juden und Christen gemeinsam aus der Treue Gottes leben“. Mit der Abkehr von christlichen antijüdischen Traditionen und dem Nein zur Judenmission eröffnete sich ein Dialog auf Augenhöhe.

Die hebräische Bibel ist die große geschwisterliche Gemeinsamkeit beider Religionen. Sie zu lesen und sich auszutauschen kann eine Basis sein, um die Gemeinsamkeiten ebenso wie das Trennende kennen zu lernen. Nach wie vor ist es wichtig, sich für die Entfaltung eines freien, ungehinderten jüdischen Lebens in Deutschland und für die Achtung der Eigenständigkeit ethnischer Minderheiten einzusetzen.

p(autor). Petra Kunik

Artikelinformationen

Beitrag veröffentlicht am 1. September 2009 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+