Olivier Roy erklärt den Fundamentalismus
Erlebt die Religion eine Renaissance? Oder wird sie immer unwichtiger? Der französische Politikwissenschaftler Olivier Roy hat dazu ein kluges Buch geschrieben: Seiner Ansicht nach machen Religionen derzeit einen radikalen Wandel durch, der ihren Charakter grundlegend verändert.
Dieser Wandel besteht laut Roy darin, dass die Religionen sich zunehmend von den sie umgebenden Kulturen lösen. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Säkularisierung und die Globalisierung. Weltweite Migrationsbewegungen haben zur Folge, dass Gesellschaften „multireligiös“ werden. Gleichzeitig verstehen sich Staaten zunehmend als „neutral“, wodurch Religion etwas rein Privates und Individuelles wird.
Beides führt laut Roy dazu, dass fundamentalistische Formen von Religion Aufwind haben. Religion, die bloß individuelles Bekenntnis und „Gefühl“ ist und nicht in einer komplexen Kultur beheimatet, tendiert eher dazu, radikal, kompromisslos und intolerant aufzutreten – aber eben auch einfältig. Sie ist nicht selbstverständlicher Teil einer gemeinsamen Wertedebatte, sondern fühlt sich umgeben von Feinden und reagiert mit Abschottung. Diese Gefahr bedroht alle Religionen gleichermaßen. Und so viel politischen Wind religiöser Fundamentalismus derzeit auch macht: Er ist paradoxerweise gleichzeitig dafür verantwortlich, dass der faktische Einfluss von Religion schwindet.
Ein sehr lesenswertes Buch, das gut analysiert, ohne einfache Lösungen zu weisen (Siedler, 335 Seiten, 22,95 Euro).