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Aktuell

Von – 1. Oktober 2010

Eltern in Deutschland stehen unter Druck

Es gibt viele Forschungen darüber, wie es Kindern geht. Aber wie geht es eigentlich Eltern? Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat Mütter und Väter zu ihrer Lebenssituation befragt. Ergebnis: Der Druck, alles richtig zu machen, ist groß.

Noch bis in die 1980er Jahre hinein war Kindheit quasi öffentlich: Die Kinder waren oft draußen unterwegs, auch unbegleitet von den Eltern. Soziologisch nennt man das eine Form der „öffentlichen Straßenkindheit“. Heute hingegen wird von einer „verhäuslichten Familienkindheit“ gesprochen. Das heißt: Eine immer größere Zahl von Freizeitaktivitäten wird ins Haus verlegt. Weil Geschwister- und Nachbarskinder weniger werden, nehmen gemeinsame Aktivitäten mit den Eltern und geplante Freizeit mehr Raum ein als früher. Eltern werden zu „Familienmanagern“, die versuchen, die „Verinselung“ ihrer Kinder durch gezielte Freizeitgestaltung zu überbrücken. Sie investieren viel Zeit und Geld, um ihre Kinder mit anderen Kindern zusammenzubringen.

Auch von Vätern wird heute erwartet, dass sie sich aktiv an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen – und viele wollen das auch. Eine Gelegenheit zum Austausch mit anderen Vätern und vor allem gemeinsamen Spaß mit den Töchtern und Söhnen bieten die Vater-Kind-Wochenenden, die das Evangelische Jugendwerk viermal im Jahr von Frankfurt aus veranstaltet – und das schon seit fast zwanzig Jahren. Die Nachfrage zeigt: Es besteht Bedarf. Alle Wochenenden sind ausgebucht, so wie auch dieses hier, bei dem Ende August das Leben der alten Römer erkundet wurde. Wer sich für das Programm im kommenden Jahr interessiert: Infos unter www.ejw.de oder Telefon 069 95218310. Foto: Rolf Oeser

Entsprechend sind auch die Anforderungen an die Eltern gestiegen. In der Literatur spricht man von „Pädagogisierung“ der Elternrolle. Frühere Erziehungsziele wie Gehorsam, Anpassung und Pflichtbewusstsein wurden ersetzt durch ein partnerschaftlich-egalitäres Beziehungsmodell. Dabei ist es beim Aushandeln von Regeln durchaus schwierig, das richtige Maß zu finden: Es gibt verwöhnte Wunschkinder genauso wie vernachlässigte Kinder.

Nach wie vor übernehmen die Mütter den größten Teil der Kindererziehung. Fast immer sind sie es, die zeitweilig auf Berufstätigkeit verzichten. Auch Paare, die sich als gleichberechtigt und emanzipiert verstehen, kehren mit dem ersten Kind oft zu einer traditionellen Aufgabenverteilung zurück. Zwar gibt es heute „neue Väter“, die stärker in die Familienarbeit eingebunden sind als Väter früher, doch wächst gleichzeitig der Anteil derjenigen Männer, die aufgrund von Scheidung oder beruflicher Belastung nur noch sehr wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Dass Kinder es gut haben sollen, ist klar. Aber die hohen Ansprüche, die Eltern heute erfüllen müssen (oder auch an sich selbst stellen), haben auch Folgen. Sie führen nicht nur dazu, dass Frauen immer später Kinder bekommen. Auch finanziell wird genau durchgerechnet, ob man sich ein Kind „leisten“ kann. Die Gesellschaft muss hier entsprechende Unterstützung bieten, sonst wird Elternschaft nicht bejaht.

Ein ungewöhnliches Ergebnis hatte die Studie schon vor der Auswertung: Die befragten Eltern brachten große Dankbarkeit dafür zum Ausdruck, dass sich jemand tatsächlich einmal für ihre Lebenssituation interessierte. Die Möglichkeit, ungefiltert die eigenen Erfahrungen und Befindlichkeiten, insbesondere den als enorm erlebten Druck einer neutralen Person zu schildern, wurde von ihnen als sehr positiv erlebt. Dabei wurde deutlich, dass Eltern in Deutschland kein Ventil haben, das es ihnen erlaubt, ihre Anliegen zu thematisieren. Insofern boten die Gespräche auch eine Möglichkeit, aufgestaute Emotionen in einem geschützten Rahmen zum Ausdruck zu bringen.

Elternschaft wird heute subjektiv als zunehmend schwieriger zu bewältigende Aufgabe mit hohen Erwartungen erlebt, was in vielen Milieus zu massiver Verunsicherung der Eltern führt. Ein Kind zu bekommen und zu erziehen, das halten viele Menschen heute für eine so komplexe und anspruchsvolle Aufgabe, dass sie sich das kaum zutrauen.

Die Studie ist auch als Buch erschienen: Tanja Merkle und Carsten Wippermann, Eltern unter Druck, Lucius & Lucius, 29,80 Euro.

Familie – vielfältig aber stabil

Es ist gar nicht einfach, den Begriff Familie zu definieren. Obwohl das Wort im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in die deutsche Sprache aufgenommen wurde, gibt es bis heute keine einheitliche Auffassung darüber, was man genau als „Familie“ bezeichnet.

Die klassische Familie besteht aus Vater, Mutter und mindestens einem Kind, möglicherweise ergänzt durch die Großelterngeneration. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus, und zwar nicht erst heute, sondern schon immer.

In vorindustrieller Zeit hatten Ehe und Familie vor allem einen instrumentellen Charakter, sie waren Mittel zum Zweck: Die Ehe wurde nicht aus Liebe geschlossen, sondern im Hinblick auf die Kinder, und zwar, um – je nach Schicht – Vermögen oder zumindest den Namen zu vererben, und um im Falle von Krankheit und Alter versorgt zu sein. Im Mittelpunkt stand der „Haushalt“, wozu bei den Besitzenden auch ein Produktionsbetrieb zählte. Zum Haus gehörten auch Knechte und Mägde sowie andere Bedienstete. Bei den ärmeren Schichten stand ebenfalls die wirtschaftliche Funktion des „Haushaltes“ im Mittelpunkt, auch wenn das Haus weniger Mitglieder hatte. Die Erwerbstätigkeit beider Eltern und der Kinder war selbstverständlich. Auch damals gab es bereits sehr verschiedene Lebensformen: Viele verwitwete Frauen oder auch ledige Mütter lebten nicht in der „klassischen“ Familie.

Erst vor etwa 200 Jahren entwickelte sich die „Liebesheirat“. Die sozialen und wirtschaftlichen Funktionen der Familie übernahmen tendenziell Institutionen: Krankenhäuser und Schulen entstanden, andere Aufgaben übernahm der Staat. Der Familie blieb aber die Funktion der Nachwuchssicherung und der „Regeneration“ ihrer Mitglieder.

Über Jahrhunderte hinweg war die Erwerbstätigkeit auch von Müttern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Lediglich das Bürgertum konnte es sich leisten, dass Mütter nicht erwerbstätig waren. Unter den Nationalsozialisten wurde die nicht-arbeitene Mutter dann ideologisch überhöht. Ehestandsdarlehen sollten Frauen, die Mütter wurden, vom Arbeitsmarkt abwerben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg behielt die Bundesrepublik dieses Familienmodell bei, obwohl die Realität der „Trümmerfrauen“ ganz anders aussah. Auch in den 1950er Jahren war die Erwerbstätigkeit der Mütter in vielen Familien notwendig. Erst im Wirtschaftsaufschwung der 1960er und 1970er Jahre konnten es sich viele Familien leisten, dass die Mütter nicht außer Haus arbeiteten.

In der DDR war die Erwerbstätigkeit der Frauen hingegen immer selbstverständlich gewesen. Historisch gesehen entpuppt sich das „klassische“ Familienmodell also als eine Lebensform, die allenfalls zwei Jahrzehnte Bestand hatte.

Heute ist oftmals ein Kinderwunsch Anlass zur Eheschließung. Zwar heiratet man später, aber man heiratet: 90 Prozent der deutschen Bevölkerung schließen bis zum 50. Lebensjahr zumindest einmal eine Ehe.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 1. Oktober 2010 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.