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Von – 26. August 2011

Der Mensch ist kein Objekt anderer Interessen

Abtreibung, Organspende oder Präimplantationsdiagnostik: Bei solchen Themen nehmen die Kirchen meist eine konservative, ablehnende Haltung ein. Wieso eigentlich?

Gott schuf den Menschen: Farbstich von William Blake, 1795. Foto: Yorck-Project.

Nach christlichem Verständnis ist der Mensch ein Geschöpf Gottes und damit weit mehr als das Produkt seiner Eltern. Diese haben zwar die Fähigkeit zur Reproduktion von Gott erhalten („Seid fruchtbar und mehret euch”), aber Gott bleibt trotzdem der Urheber des dem Menschen innewohnenden Lebens – unabhängig von dessen biologischer Entstehung. Das ist aus der zweiten Schöpfungsgeschichte abzuleiten, wo Gott dem aus Lehm geformten Menschen den Lebensodem einhaucht (1. Mose 2,7). Deshalb ist Gott auch der einzige, der das Recht hat, Leben wieder zu nehmen. Weder die Eltern, noch man selbst, noch der Staat oder sonst eine Institution dürfen über das Leben eines Menschen verfügen.

Das Leben besitzt zudem einen Wert in sich, gleichgültig, ob es gesundes oder krankes, geborenes oder nichtgeborenes, altes oder junges, reiches oder armes Leben ist. Niemandem außer Gott „gehört” das Leben, und niemand „verdient” jemals den Tod, selbst wenn er sich schwerwiegend gegen die Gesellschaft vergangen hat. Ein solches Verständnis hat weitreichende ethische Konsequenzen, zum Beispiel im Hinblick auf die Todesstrafe oder Suizid.

Schwierig werden Entscheidungen in einer Notwehr-Situation oder im Krieg. Bei den Überlegungen zu einer Abtreibung stehen das Leben des Embryo und das Leben der Mutter gegeneinander. In protestantischer Sicht ist hier jeder Einzelfall mit großer Sorgfalt zu prüfen. Bei Gefahr für Leib und Leben der Mutter wird sich die Waage eher zu ihren Gunsten senken, während bei der sozialen Indikation auch das persönliche Umfeld mit in den Blick zu nehmen ist und Möglichkeiten der Hilfe zu prüfen sind.

Zur Auswahl nötigt in vielen Fällen auch die künstliche Befruchtung. Sie wird aus protestantischer Sicht sehr zurückhaltend beurteilt, von der katholischen Kirche ganz abgelehnt. Problematisch wird es, wenn von den Embryonen nicht alle in den Mutterleib eingesetzt werden können. Den Kirchen erscheint es weniger gravierend, auf die Möglichkeit der Fortpflanzung zu verzichten, als die Tötung lebensfähiger Embryonen in Kauf zu nehmen.

Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) wird außerdem das Kriterium des Elterninteresses eingeführt, das dem Gedanken, dass jedes Leben lebenswert ist, entgegen steht. Die PID ermöglicht die Auswahl eines möglichst nicht erbgeschädigten Embryos, was den Eltern unzweifelhaft Beruhigung verschafft, aber die ethische Problematik der künstlichen Befruchtung erst recht hervorhebt. Zumindest im Prinzip kann sie dazu führen, dass Embryonen mit unerwünschten Merkmalen verworfen werden. Übrigens hinkt der oft angeführte Vergleich zur Abtreibung. Dort ergibt sich das Problem aus einer ungewollten Schwangerschaft, also durch einen „Unfall“, während die künstliche Befruchtung bewusst herbeigeführt wurde und die ganze Entscheidung insofern vermeidbar gewesen wäre.

Nach christlichem Verständnis gehört ein Mensch zu Gott, und diese Verbindung ist unauflöslich. Hieraus lässt sich ableiten, dass ein Menschenleben nicht nur einen Wert in sich hat, sondern auch keinerlei Nützlichkeitsinteressen unterworfen werden darf. Daher verbietet sich die Aufzucht von Menschen zum Beispiel als Ersatzteillager für Organe.

Schwierig wird es hingegen, wenn zum Beispiel beim Thema Organspende das Argument der Nützlichkeit ins Feld geführt wird: Wer im Todesfall seine Organe spendet, hilft damit anderen Menschen, die dringend auf ein Ersatzorgan angewiesen sind. Für manche resultiert daraus die Christenpflicht, sich einen Organspenderausweis ausstellen zu lassen. Gewiss ist die dabei auftretende Sorge, für die Auferstehung sei ein vollständiger Körper erforderlich, leicht zu zerstreuen: Wenn Gott den Menschen leiblich auferstehen lassen kann, werden ihm fehlende Organe keine wirkliche Mühe bereiten.

Zwei grundsätzliche Erwägungen sollten aber nicht unterschlagen werden: Zum einen hat niemand ein „Recht” auf ein Ersatzorgan, weil damit in die Integrität eines anderen Lebens eingegriffen wird. Zum andern ist bei der Organentnahme der Vorgang des Sterbens noch nicht abgeschlossen, auch wenn er nach ärztlichem Ermessen unumkehrbar ist und die Hirnfunktionen, die das menschliche Bewusstsein ausmachen, erloschen sind. Einige Vitalfunktionen sind aber noch im Gang, und der Kreislauf funktioniert.

Das wirft Fragen auf, von denen die nach einer absolut sicheren Diagnostik und möglichen materiellen Interessen im Organhandel vermutlich noch am ehesten zu lösen sind. Das Abschiednehmen von einem „Toten”, dessen Herz noch schlägt, darf als Zumutung gefühlt werden. Sterbendes Leben abzubrechen, um krankes zu verlängern – das klingt vernünftig und erscheint beinah ethisch geboten, aber es ist grenzwertig, weil ein Rest des gottgeschenkten Lebens noch da ist.

Vielleicht kann man niemandem die Entscheidung über ein Ja oder Nein ersparen, aber es ist klar, dass die Entscheidung über eine Vorverlegung des eigenen Todes zugunsten eines anderen die persönlichste Entscheidung ist, die man treffen kann. In der Debatte um ein Transplantationsgesetz spricht also alles für eine Entscheidungs- oder Zustimmungslösung.

Siehe auch: Entscheidung mit Augenmaß

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 26. August 2011 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.