„Mein Vater hat immer gesagt, die Deutschen waren ein verführtes Volk“, sagte die jüdische Schriftstellerin Stefanie Zweig bei einem Autorinnengespräch in der Lutherkiche im Nordend. „Er war Jurist und wollte nach dem Krieg nicht in Afrika bleiben, sondern zog 1947 wieder mit uns nach Deutschland“, erzählte die heute 80-Jährige. „Ich fand es nach dem Krieg vor allem widerlich, wie viele Leute auf einmal keine Nazis mit antisemitischen Gefühlen gewesen sein wollten. Wenn wirklich alle, die das behauptet haben, Juden versteckt hätten, wären wohl kaum so viele umgekommen.“
Stefanie Zweig ist einem breiten Publikum bekannt, seit ihr Roman „Nirgendwo in Afrika“ von Caroline Link verfilmt worden ist. Roman und Film erzählen von ihrer Kindheit in Kenia, wohin sie 1938, als Fünfjährige, mit ihrer Familie aus Schlesien vor den Nazis flüchtete.
Yvonne Weichert vom Kirchenvorstand der Luthergemeinde ging im Gespräch mit Zweig aber vor allem auf die zuletzt erschienene vierteilige Familienchronik ein, deren räumlicher Mittelpunkt das Haus in der Rothschildallee 9 ist. Ursprünglich gehörte dieses Haus der jüdischen Familie Isenberg, Stefanie Zweigs Vater konnte es nach dem Krieg erwerben. „Der Roman ist Fiktion“, erklärte Zweig. „Aber es sind viele autobiographische Details mit eingeflossen.“
Der erste Band, „Das Haus in der Rothschildallee“, umfasst die Jahre 1900 bis 1916. „Darin stirbt vor allem eine Illusion“, sagte Zweig. „Als Vater Johann Isidor Sternberg das Haus kauft, glaubt er noch, dass eine gute Zeit für jüdische Menschen beginnt. Aber dann wird er langsam wach.“
Der zweite Band, „Die Kinder der Rothsschildallee“, schildert die Jahre 1926 bis 1937. „Das Erschütternde daran ist, wie normal das Leben dieser bürgerlichen Familie in Frankfurt war“, beschrieb Weichert ihre Leseerfahrung. „Stefanie Zweig erzählt dann aber, wie Monat für Monat, Tag für ein Tag, ein Stück Normalität verloren geht.“ Tochter Viktoria darf trotz Theaterbegeisterung nicht mehr ins Theater gehen, Mutter Betsy Sternberg kann bald nicht mehr einkaufen, und die Köchin Josefa, die quasi zur Familie gehört, darf nicht mehr bei „Juden“ arbeiten.
Der dritte Band, „Heimkehr in die Rothschildallee“, spielt in den Jahren 1941 bis 1948. Darin erschüttert vor allem die Szene, in der Anna, die uneheliche, offiziell als „arisch“ geltende Tochter Isidors, seine Enkelin Fanny aus der Ansammlung von Menschen rettet, die beim achten Transport von der Großmarkthalle im Ostend deportiert werden sollte. „Die Gleise kann man heute noch sehen“, betonte Weichert. „Da kann doch niemand behaupten, er habe das nicht gewusst.“ Der vierte Band, „Neubeginn in der Rothschildallee“, erzählt die Jahre 1948 bis 1950: Die Überlebenden versuchen, wieder in Deutschland Fuß zu fassen. Viele Häuser und Straßen im Nordend und Bornheim, die im Roman genannt sind, existieren heute noch. „Die Namen von Bäckern und Metzgern habe ich besser behalten als die Namen von meinen Lehrern“, erzählte die Autorin, die sich noch gut an den „Hungerwinter“ von 1947 erinnern kann. „Nun lebe ich schon seit über sechzig Jahren in Frankfurt. An guten Tagen sage ich schon: Das ist meine Heimat.“