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Von – 12. Mai 2012

Zuhause als Folterkammer

Ein Kunstprojekt gibt den Stimmen misshandelter Frauen Gehör

Die Schauspielerin und Autorin Renan Demirkan gab den Geschichten geschlagener Frauen eine Stimme. Ihr Vortrag in der Matthäuskirche ließ niemanden im Publikum unberührt. Foto: Rolf Oeser

Es klingt wie aus einem Psychothriller und ist doch traurige Realität mitten in Deutschland: Frisch verheiratet zog sie zu ihrem Mann in ein kleines Dorf. Eine Einöde ohne Geschäfte, ohne Freundinnen und Bekannte. Sie besaß weder Auto noch Führerschein. Als der Albtraum begann, entpuppte sich das Zuhause als ihr Gefängnis. Der Gatte prügelte sie regelmäßig grün und blau. Das ganze Dorf wusste, was passiert. Aber niemand wollte etwas gehört oder gesehen haben.

Nach Jahren gelang dieser jungen Frau schließlich die Flucht. Der Journalist Stefan Weiller begegnete ihr im Zentrum für Frauen des Diakonischen Werkes in Frankfurt. Ihre erschütternde Geschichte und die von weiteren Leidensgenossinnen hat Weiller, der Öffentlichkeitsreferent im Diakonischen Werk Wiesbaden ist, in einem Kunstprojekt verarbeitet.

Der unmittelbaren Bedrohung durch körperliche Gewalttaten sind die Frauen, mit denen er sprach, zwar entkommen. Aber in den Nächten holt sie das Martyrium wieder ein. Eine liegt jede Nacht wach und betet zu Gott, dass sie „sein Gesicht nie wieder sehen muss“. Einer anderen gelingt es nur mit Hilfe eines vollgestopften Terminkalenders, wenigstens tagsüber „jedes kleine Stückchen Erinnerung einzumauern“. Doch mit Einbruch der Dunkelheit „bricht alles wieder durch“.

„Von der Sehnsucht nach Ruhe und Schlaf – musikalisches Nachtstück gegen häusliche Gewalt“ hat Weiller deshalb sein Projekt genannt. Sieben jener „ruhelosen Geschichten“, die ihm Betroffene in den geschützten Räumen des Zentrums für Frauen am Alfred-Brehm-Platz anvertraut haben, hat er zu Texten komprimiert. Die Schauspielerin Renan Demirkan verlieh diesen Geschichten mit eindringlicher Stimme in der Matthäuskirche Gehör.

Die Lesung wurde unterstützt mit „Wiegenliedern“, die Solistinnen und Solisten sowie der Matthäuskammerchor vortrugen. Der krasse Gegensatz zu den lieblich-sanften Weisen ließ die in Wohnungen hausende Brutalität nur noch deutlicher zu Tage treten. Wie an den Gesichtern im Publikum abzulesen war, ließen die bestürzenden Schicksale niemanden kalt. Vor allem, weil es sich keineswegs um Einzelfälle handelt. Die Kunstaktion will Aufmerksamkeit dafür wecken, dass es eben gar nicht so selten ist, wenn Wohnungen sich in Folterkammern verwandeln. In Europa ist die Gesundheit von Frauen durch brutale Ehemänner oder Lebenspartner mehr gefährdet als durch Verkehrsunfälle und Krebserkrankungen zusammen. Jede vierte Frau hat mindestens einmal von ihrem Mann oder Lebensgefährten Prügel bezogen, sagte Gabriele Wenner, die Leiterin des Frankfurter Frauenreferats und eine der Schirmherrinnen.

„Gewalt ist nie privat“ ist das Motto, unter dem sie das Problem ins öffentliche Bewusstsein holen will. Die Polizei habe allein in Frankfurt im Jahr 2011 weit mehr als tausend Fälle häuslicher Gewalt registriert. Hinzu komme eine vermutlich große Dunkelziffer, da viele Frauen aus Furcht oder Scham lieber schweigen und die Tat nicht anzeigen. Die Frauen selbst kämpften mit ihren traumatischen Erlebnissen in der Regel ein Leben lang.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 12. Mai 2012 in der Rubrik Kultur, Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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