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Aktuell

Von – 6. September 2012

Das Beschneidungsverbot kontrovers diskutiert

Kontrovers diskutiert wurde das Thema „Beschneidungsverbot“ bei einem Podium gestern Abend in der Evangelischen Akademie am Römerberg.

Diskutierten über das Beschneidungsverbot (v.l.n.r.): Der Mediziner Lothar Schrod, Rabbinerin Elisa Klapheck, Moderator Hermann Düringer, Ünal Kaymakci von der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen und Richter Henning Radtke. Foto: Rolf Oeser

Während Lothar Schrod, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Höchst, dafür plädierte, medizinisch nicht notwendige Beschneidungen an Jungen zu unterlassen, bis sie als Jugendliche selbst darüber entscheiden können, sah Richter Henning Radtke, bisher am Oberlandesgericht Celle und ab Oktober an den Bundesgerichtshof in Karlsruhe berufen, die derzeitige jüdische und muslimische Praxis durch das Grundgesetz geschützt.

Fachliche Sicht prägt die Perspektive

Dabei wurde deutlich, wie die jeweils fachliche Sicht die Perspektive prägt. Jeder Eingriff in den Körper – auch eine einfache Blutentnahme – sei eine Körperverletzung, wenn der oder die Betroffene nicht darin einwilligt, so der Mediziner Schrod. Wenn jemand nicht einwilligungsfähig sei, etwa wegen Bewusstlosigkeit oder eben Kinder, dürften Eingriffe nur erfolgen, wenn sie medizinisch notwendig und unaufschiebbar sind. Alle anderen Behandlungen müssten aufgeschoben werden, bis der Patient oder die Patientin selbst darüber entscheiden kann. Da es bei Beschneidungen zu Komplikationen und Nebenwirkungen kommen könne, dürften Eltern einen solchen Eingriff nicht stellvertretend für ihren Sohn anordnen.

Aus juristischer Sicht hingegen sei in Artikel 6 des Grundgesetzes das „natürliche Recht“ der Eltern zu Pflege und Erziehung ihrer Kinder klar geschützt, erläuterte Radtke. Grenzen habe dieses Recht erst dort, wo die Menschenwürde des Kindes – etwa bei Schlägen – oder aber das Kindeswohl in Gefahr seien. Eine Gefährdung des Kindeswohls müsse dabei jedoch im Einzelfall nachgewiesen werden. Bisher gebe es keine aussagekräftigen Studien darüber, dass Beschneidungen das Kindeswohl generell gefährden. Das gegenläufige Urteil eines Richters am Kölner Landgericht, das die derzeitigen Debatten über ein Beschneidungsverbot ausgelöst hat, sei eine klare Fehlentscheidung gewesen.

Religion darf das Kindeswohl nicht gefährden

Dass religiöse Praktiken eine Grenze bei einer Gefährdung des Kindeswohls haben, bekräftigten sowohl die Vertreterin des Judentums als auch der des Islam. Es gehe dabei aber nicht nur um medizinische Aspekte. Kinder hätten auch ein Recht auf religiöse Sozialisation, sagte Elisa Klapheck, Rabbinerin des Egalitären Minjan der Jüdischen Gemeinde Frankfurt. Als eines von mehreren „Zeichen des Bundes mit Gott“ sei die Beschneidung ein grundlegender Bestandteil des Judentums. So seien Juden, die in der Sowjetunion aufgewachsen sind – wo Beschneidung verboten war – häufig unsicher im Bezug auf ihre Religionszugehörigkeit. Als liberale und feministische Rabbinerin setze sie sich für eine Modernisierung der Religion ein, jedoch gebe es dabei andere und wichtigere innerjüdische Themen und Kontroversen als die um Beschneidung.

Ünal Kaymakci, stellvertretender Vorsitzender der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, beklagte eine fehlende „religiöse Musikalität“ in der deutschen Gesellschaft. Viele hielten Religiosität für prinzipiell irrational. Er habe keinen Zweifel, dass die Straffreiheit von Beschneidungen in naher Zukunft juristisch bekräftigt werde. Doch das Klima einer zunehmend pauschalen Ablehnung von Religion, das in den Debatten zum Ausdruck gekommen sei, bereite ihm Sorge.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 6. September 2012 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Timo Rieg schrieb am 7. September 2012

    Bei der Diskussion fehlten offenbar wie so oft die Betroffenen – Kinder und Jugendliche. Da gab es doch medial schon einige interessante Meldungen.

  • Thomas Volz schrieb am 9. September 2012

    Wenn der Artikel die Diskussion korrekt wiedergibt, gab es also in der Evangelischen Akademie keinen sachlich neuen Beitrag zur Debatte. Auch das Verdienst, unterschiedliche Meinungen miteinander ins Gespräch gebracht zu haben, ist nicht zu erkennen.
    Die wirklich interessante Frage, welche Kriterien es für die Abwägung des Verhältnisses von grundgesetzlich garantierten Grundrechten gibt für Fälle, in denen diese in Konflikt geraten, ist anscheinend (ich war nicht dabei) auch hier nicht diskutiert worden. Gerade hier könnte aber eine Evangelische Akademie m.E. einen wichtigen Beitrag leisten.
    Aber, wie zu erwarten: Mediziner klar dagegen, Jurist bis zum Erweis des Gegenteils dafür, die ReligionsvertreterInnen tendenziell abwehrend: „für uns intern gibt es wichtigeres zu diskutieren“ – „die, die Religion ablehnen, sollten sich nicht einmischen.
    Schade, denn gerade Menschen mit einer Außenperspektive weisen oft auf Naheliegendes hin, das aus der Position des Verteidigungsreflexes nicht so leicht zu erkennen ist: die Konzentration auf eine Symbolisierung des archaischen Ritus (zum Beispiel durch Anritzen, bis ein Tropfen Blut zu sehen ist) könnte dem Bedürfnis nach religiöser Kontinuität und den Schutzpflichten für die körperliche Unversehrtheit von Menschen und die Entscheidungsfreiheit in religiösen Dingen m.E. gleichermaßen Genüge tun.
    Ach ja: wäre eine christliche Praxis von einem entsprechenden Wertekonflikt betroffen, stünden für mich auch als Christ und evangelischer Pfarrer die Schutzpflichten über den religiösen Freiheitsrechten. Schade, dass die kirchenobrigkeitlichen Verlautbarungen immer nur auf die Religionsfreiheit eingehen.

  • Antje Schrupp schrieb am 9. September 2012

    @Thomas Volz – Der Hinweis, dass es bei der Abwägung der Grundrechte nicht um Kindeswohl und Religionsfreiheit, sondern um Kindeswohl und Erziehungsrecht der Eltern geht, war (für mich jedenfalls) schon neu, weil in der öffentlichen Debatte doch immer auf das Thema Religionsfreiheit fokussiert wurde. Und dass die „Schutzpflichten“, also das Kindeswohl, über den religiösen Freiheitsrechten stehen, haben beide Vertreter_innen der Religionen explizit gesagt. Sie bestreiten aber, dass die Beschneidung dem Kindeswohl schadet.

  • Heinz Giessler schrieb am 11. September 2012

    Wenn Gott gewollt hätte, das der Mann keine Vorhaut trägt, dann….ja was dann? Religion ist auch mit Vorhaut möglich, ERGO! Körperliche Unversehrtheit als Grundgesetz ( gerade für Kinder und Babys) muss bestehen bleiben …denn wenn nicht…ja was dann noch alles?

  • Antje Schrupp schrieb am 11. September 2012

    @Heinz Giessler – Nun ja, wenn Gott gewollt hätte, dass Männer kurze Haare haben, würde er auch dafür gesorgt haben, dass sie nicht immer weiter wachsen (die Sikhs zum Beispiel schneiden sich genau deshalb die Haare nicht). Wir sind als Menschen Kulturwesen, das heißt, wir gestalten unsere Welt aktiv und nehmen die „Natur“ nicht einfach als gegeben hin. Das ist einer der Unterschiede zwischen Menschen und Tieren, und da könnte man genauso argumentieren, dass Gott uns eben als Kulturwesen geschaffen hat.

  • Thomas Volz schrieb am 11. September 2012

    @Antje: auch über dem Erziehungsrecht der Eltern steht das Recht auf körperliche Unversehrtheit – was man sehr leicht daran sehen kann, dass – trotz gegenteiligen Hinweises in der Hebräischen Bibel! – die körperliche Züchtigung nicht mehr Erziehungsmittel ist, sondern sogar den Eltern verboten ist! – Und ob man das Abschneiden der Vorhaut so einfach mit dem Schneiden von Haaren vergleichen kann? Da mögen zumindest Männer einmal eine Nagelschere nehmen und sich im probeweisen Vergleich a) ein paar Haare abschneiden b) die Vorhaut – soweit noch vorhanden – nur anknipsen, das reicht schon um durch Erfahrung zu wissen, dass beides grundverschieden ist. Was die Sikhs betrifft: Falls diese – ich bin da leider nicht informiert – ihren Jungens die Haare ungeschnitten wachsen lassen, führt das u.U. zu kulturellen Problemen (des Andersseins, das zu akzeptieren zwar nicht Kindern, aber doch Erwachsenen immer noch sehr schwer fällt) aber nicht zu körperlichen, die es nachweislich für ca. 10% der Beschnittenen gibt! Gleichwohl, @Heinz Giessler, zieht das Argument nicht, denn laut Judentum will Gott ja nicht, dass alle Männer beschnitten sind, sondern nur die, die er für sich aussondert, die Beschneidung soll also gerade das Unterscheidungsmerkmal zum geschöpflichen Zustand sein. Sie kann darum nur theologisch kritisiert werden: Beschneidung als Unterwerfungsgeste an „den mit dem Größeren“, wenn ich das mal so flapsig sagen darf, und Bund (in den Mann mit der Beschneidung aufgenommen wird) als Übernahme eines Konstruktes von den Besatzungsmächten Israels ca. 500 v.Chr.!

  • Heinz Giessler schrieb am 11. September 2012

    Ach, die von Gott gegebene Vorhaut kann nachwachsen wie Haarpracht? Das ist mir neu. Im übrigen ist wohl kaum noch abzustreiten , daß die Beschneidung Körperverletzung ist (und unwiderruflicher Hergang) ! Und Körperverletzun kann kaum Kindeswohl sein! Die Möglichkeit zur religiösen Selbstentfaltung wird durch die Beschneidung bei Jungen dito beinträchtigt! Gegen die Beschneidung in Deutschland ab 14 Jahren (Selbstentscheid als Jugendlicher) hätte ich für den Anfang nichts . Religionsfreiheit muss vor dem Gesetz (und sollte unbedingt vor dem Gewissen jedes Menschens ) da enden, wo körperlicher Schaden entsteht. Sehr seltsam, bei der Mädchenbeschneidung läuft alles Sturm, bei Jungs gilt wohl eine andere Moral?) UN-Kinderrecht, hat Deutschland die nicht auch unterschrieben? Welch Doppelmoral das alles…

    Dieser Argumentation hier

    faz.net/aktuell/politik/inland/offener-brief-zur-beschneidung-religionsfreiheit-kann-kein-freibrief-fuer-gewalt-sein-11827590.html

    kann ich ebenfalls folgen.

    Die betreffenden Stellen im alten Testament, auf die die Beschneidung basiert überhaupt schon mal schon gelesen? Grausam, oder nicht? Ein wenig weiter wird da auch von Töten usw. gesprochen. ..hmmmm…
    Muss etwas, was tausende Jahre alt ist gut sein?

    Fürs 1.

    MfG

  • Heinz Giessler schrieb am 11. September 2012

    P.S
    Man stelle sich vor, wir würden all das tun, was Luther seinerzeit gesagt bzw, geschrieben hat, oha! (man/Frau kennt die bösen Passagen ja wohl? )

    Aber Spass beiseite, Verfassung und (Grund-) gesetz dahingehend ändern, daß Körperverletzung wie z. B. Beschneidung bei Babys und Kindern (und noch möglichst ohne Betäubung, wie toll ) einfach unter dem Aspekt von Religionsfreiheit tolleriert würde ? Manchmal denk ich, ich bin einfach im falschem Film und nicht im 21. jahrhundert…

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