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Von – 27. Oktober 2012

Gedichte statt Gewalt

Gedichte sind vielleicht ganz nett, aber nicht relevant fürs wirklich wichtige gesellschaftliche Leben. So lautet eine gängige Überzeugung. Doch wer weiß? In Frankfurt haben muslimische Frauen jetzt zu einer Lyrik-Demo aufgerufen.

Auf keiner Straße marschieren sie, keine Parolen skandieren sie. Im Gebetsraum der Ahmadhyyia Mulim Gemeinde in Sachsenhausen sitzen sie auf Kissen, um sich den Schmerz über Verunglimpfung ihres Propheten Muhammeds von der Seele zu dichten.

Einen islamischen Frauen-Poetry-Slam haben sie bereits durchgeführt. Und auch die Gedichte jetzt zu Ehren Muhammeds werden heftig rezitiert.

Ruppig oder rustikal wird es aber nie, selbst wenn Moderatorin Jasmin Mahmood als 2. Kapitän der U17 der Spielvereinigung Radevormwald in Nordrhein-Westfalen genug Erfahrungen auf Fußballfeldern gesammelt haben dürfte. Jetzt studiert sie in Frankfurt Religionswissenschaft und hat mit Anna Tariq und Alia Hübsch von der Frauenorganisation Layna Imaillah den interreligiösen Literaturabend organsiert, zu dem Frauen aus dem Rhein-Main-Gebiet gekommen sind.

Interreligiös deshalb, weil das Gemeindemotto lautet: Liebe für alle – Hass für keinen. „Wer kein Gefühl mehr hat, dem ist nichts mehr zu hart. Wer keine Liebe mehr hat, dem ist nichts mehr eigen“, rezitiert Alia Hübsch ihr Gedicht, das den Ruf nach totaler Freiheit hinterfragt: „Wer keine Grenzen mehr hat, dem ist nichts mehr heilig … Und wer keinen Boden unter den Füßen hat, der sehnt sich auch nicht nach Frieden.“

Ein offenbar sehr fruchtbarer Boden für ihre mal rätselhaften, mal schwärmerischen, dann wieder witzig-alltäglichen Verse ist die Tradition – wie Segenssprüche auf den Propheten, arabische Gedichte ihres Gemeindegründers oder der Koran selbst, der schön und auf eine fast musikalische Weise poetisch sei. Wer die Ohren nicht krampfartig verstopft, kann sich unmittelbar in einer schönen Erschütterung wiederfinden.

Der Klang sei aber nicht nur lyrisch, sondern auch politisch, sagt die Dichterin Shazia Farooq: „Für andere erscheint es, dass wir still da sitzen. Aber stille Gebete haben große Kraft, und das ist ja anerkannt in allen Religionen. Deswegen wirkt es so, dass wir nichts machen, dass wir nicht auf die Straße gehen und den Leuten ’nur‘ erklären, wie schön der heilige Prophet gewesen ist, aber dahinter steckt sehr viel: Sehr viele Gebete.“

Musik, Poesie und Gedichte hören: Den Beitrag über die Lyrik-Demo auf Deutschlandradio hören oder lesen (27.10.2012) 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 27. Oktober 2012 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

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Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.