Kontroverse Ansichten zur Zukunft des Nationalstaates gab es bei einem prominent besetzten Podium in der Evangelischen Akademie Frankfurt.
Sind Nationalstaaten in einem vereinten Europa überflüssig geworden? Oder muss im Zuge der europäischen Krise auf nationale Belange mehr Rücksicht genommen werden? Um solche Fragen ging es bei einer Tagung zur Zukunft der Europäischen Union, zu der die Evangelische Akademie Frankfurt zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung an den Frankfurter Römerberg eingeladen hatte.
Etwa hundert Menschen waren gekommen, die meisten von ihnen sehr jung. Die Debatte über die Zukunft der europäischen Demokratie kreiste lockte offenbar zahlreiche Studentinnen und Studenten der Goethe-Universität an. Auf dem prominent besetzten Podium diskutierten Ulrike Guérot, Vertreterin für Deutschland beim Rat der Europäischen Union, der polnische Journalist und Politikwissenschaftler Adam Krzeminski sowie Daniel Matteo, Bundesvorsitzender der Jungen Europäischen Föderalisten Deutschland.
Zu Beginn stellt Ulrike Guérot eine These in den Raum, die sie bereits einige Wochen zuvor zusammen mit dem Autor Robert Menasse in einem vieldiskutierten Essay in der FAZ aufgeworfen hatte: „Kein europäischer Nationalstaat kann heute mehr ein Problem allein lösen. Doch das institutionelle Gefüge der Europäischen Union behindert gemeinschaftliche Lösungen. Was wir heute Krise nennen, ist dieser Widerspruch, und was wir diskutieren, sind nur dessen Symptome.“
Für ihre These, der Nationalstaat sei ein „Artefakt der Geschichte“ erntete Guérot aber auch Kritik. „Man kann Nationen nicht einfach abschaffen“, argumentierte Adam Krzeminski. Bei jungen Polen bemerke er erstaunt, wie schnell sie die EU „als gegeben und selbstverständlich“ hinnähmen. An sich sei das eine gute Sache, doch auch ein Grund dafür, dass sie sich für europäische Belange nicht interessierten.
Auch der Jüngste der Podiumsgäste, Daniel Matteo, kann sich mit dem Plädoyer für die Abschaffung der Nationen innerhalb der Union nicht anfreunden. Er argumentiert eher pragmatisch: „Das Allerwichtigste ist es, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken und dafür zu sorgen, dass die EU auch in Ländern wie Griechenland und Zypern wieder an Ansehen gewinnt.“
Die lange Diskussion im Anschluss an die Impulse der Podiumsgäste ließ erahnen, dass sich die Evangelische Akademie tatsächlich eines Themas mit viel Sprengkraft angenommen hat.