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Aktuell

Von – 26. Juli 2013

Hallo, wir sind die Neuen

Sie waren Zahntechnikerin, Schreiner, Künstler oder Biologin; jetzt sind sie Erzieherinnen und Erzieher oder wollen es werden. Der Fachkräftemangel in Kitas macht den Beruf auch für Menschen aus anderen Branchen interessant. Vier Ortstermine.

Vom Schreiner zum Erzieher: Andreas Richter macht die Arbeit mit kleinen Kindern sehr viel Spaß. Foto: Ilona Surrey

Vom Schreiner zum Erzieher: Andreas Richter macht die Arbeit mit kleinen Kindern sehr viel Spaß. Foto: Ilona Surrey

Andreas Richter hat es sofort gemerkt. Die paar Momente Stille, die verstrichen sind, seit es auf der Matratze rumms gemacht hat, sind ein schlechtes Zeichen. Und richtig. Der kleine Junge, der eben noch singend auf und ab gehüpft und dann mit dem Fuß gegen die Wand geknallt ist, weint nach der Schrecksekunde lauthals los. Da ist Andreas Richter schon da, nimmt den Kleinen auf den Schoß, pustet, tröstet.

Es gab eine Zeit, da hat der heute 30-Jährige keine Kinder getröstet, sondern Bretter über eine Baustelle gewuchtet und Stühle zurechtgesägt. Richter war in seinem ersten Berufsleben Schreiner, bis ihn ein Unfall zwang, sich neu zu orientieren. „Meine Schwester ist Erzieherin, ich war häufig auf Ausflügen mit ihren Gruppen dabei und dachte schon ganz lange, dass das etwas für mich sein könnte.“ So machte Andreas Richter eine berufsbegleitende Umschulung: Zwei Tage in einer Einrichtung, drei Tage Unterricht an der Berta-Jourdan-Schule, der Hauptausbildungsstätte für Erzieherinnen und Erzieher in Frankfurt.

Jedes Jahr fünfzig bis sechzig Absolventinnen und Absolventen

Deren Leiter Michael Baumeister sagt, dass er derzeit jedes Jahr fünfzig bis sechzig Menschen, die vorher in anderen Berufen gearbeitet haben, als Pädagoginnen und Pädagogen in den Arbeitsmarkt entlässt. Der ehemalige Schreiner Andreas Richter schmiert in der Krabbelstube Villa Wie im Nordend jetzt Marmeladenbrote, führt Elterngespräche, bindet Schnürsenkel zu. „Das Kleinkindalter ist eine ganz tolle Zeit“, schwärmt er. „Die Kleinen kommen als Babys zu uns, machen die ersten Schritte, sprechen die ersten Worte, und zwei Jahre später gehen sie als Kinder mit vielen Kompetenzen hier raus.“ Er klingt längst wie ein Pädagoge, wenn er spricht.

Es braucht ein ganzes Dorf, ein Kind großzuziehen, heißt ein bekanntes ghanaisches Sprichwort. Viele andere Kinder, ganz unterschiedliche Erwachsene, Alte und Junge, Handwerker und Kopfmenschen – je größer die Bandbreite der Erfahrungen, die im sozialen Umfeld an die Jüngsten weitergegeben werden können, desto besser, so ist das Sprichwort wohl gemeint. So gesehen ergibt es Sinn, dass derzeit die Gruppe der Menschen, die sich beruflich um Kinder kümmern, bunter und vielfältiger wird, dass Biografien neue Wendungen nehmen.

„Zwei kleine Schlangen, die haben sich sehr gern“ – Christine Moser war früher Zahntechnikerin, jetzt arbeitet sie in der Krabbelstube der Griesheimer Segensgemeinde. Foto: Rolf Oeser

„Zwei kleine Schlangen, die haben sich sehr gern“ – Christine Moser war früher Zahntechnikerin, jetzt arbeitet sie in der Krabbelstube der Griesheimer Segensgemeinde. Foto: Rolf Oeser

Auch, wenn die Gründe dafür eher pragmatisch sind. Es gilt, die Krippenplatzgarantie umzusetzen und den Bedürfnissen der berufstätigen Eltern nach längeren Öffnungszeiten Rechnung zu tragen, und dafür gibt es nicht genügend pädagogisches Fachpersonal. Manche befürchten daher, dass es bei den Umschulungen nicht nur um die Qualität der Kinderbetreuung geht, sondern auch darum, Lücken zu füllen. „Wir hatten schon großes Glück mit Quereinsteigern“, sagt Anne Lippert-Singh, Leiterin der Johannes-Kita der Gemeinde Bornheim. „Manche machen sich allerdings falsche Vorstellungen. Erzieherinnen oder Erzieher müssen mehr leisten, als ein bisschen mit den Kindern zu spielen und sie aufs Klo zu begleiten. Auch wenn die Ausbildung verkürzt ist: Die Qualität darf nicht leiden.“

In der Krabbelstube an der Griesheimer Segenskirche sitzt Christine Moser, umringt von fünf Zweijährigen. „Zwei kleine Schlangen, die haben sich sehr gern, olalala, olalala, kss, kss, kss“, singt sie, über ihre Hände hat sie sich zwei Strümpfe gezogen, das sind die Schlangen. Moser ist 52 Jahre alt, gelernte Zahntechnikerin, Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Nach einer längeren Familienzeit hat sie als pädagogische Assistentin angefangen, jetzt macht sie die Ausbildung, um sich endlich staatlich geprüfte Erzieherin nennen zu können.

Dentallabor und Krabbelstube, das sind zwei Welten, weiß Christine Moser. „Wenn ich beim Herstellen einer Keramikbrücke mal einen Fehler gemacht habe, habe ich einfach eine neue gemacht. Die Verantwortung bei der Arbeit mit ganz kleinen Kindern ist eine viel, viel größere. Aber eine, auf die ich mich jeden Tag gern einlasse.“

Lars Betko (51)

Früher Kostüm- und Bühnenbildner, macht derzeit ein Praktikum als Erzieher in einer Kita auf dem Riedberg.

Ich habe als Kostüm- und Bühnenbildner an Theatern gearbeitet, häufig freiberuflich. Das war sehr erfüllend, aber auch sehr stressig. Nach einer längeren Anstellung als Ausstattungsleiter am Theater Heilbronn hing ich in der Luft. Und geriet ins Grübeln. Dieses Warten auf einen Regisseur, das Tingeln von Stadt zu Stadt – wollte ich das wirklich bis zum Ende meines Berufslebens machen?

Meine Eltern waren Lehrer, ich habe viele Freunde, die im Pädagogikberuf arbeiten. In meiner Schulzeit hatte ich kurz überlegt, diese Richtung einzuschlagen, aber dann doch die Kunst verfolgt. Im letzten Jahr war auf einmal halb Frankfurt mit Plakaten tapeziert, die für den Erzieherberuf warben. Ich wusste plötzlich: Das ist es.

Derzeit mache ich mein Vorpraktikum in einer Kita am Riedberg. Ich kann viel aus meinem ersten Berufsleben einbringen. Mit den Kindern habe ich Roboter aus Recyclingmüll gebaut. Die Drei- bis Sechsjährigen waren begeistert, und als ich ihren Müttern und Vätern beim Elternabend davon erzählte, klatschten die sogar Beifall.

Ulrike Selma Rothenbächer (45)

Diplombiologin und Shiatsu-Praktikerin, seit anderthalb Jahren als Erzieherin in der Johannes-Kita der Gemeinde Bornheim.

Im Lauf meiner beruflichen Entwicklung habe ich Biologie studiert, für den WWF gearbeitet und auf den Kanaren naturkundliche Wanderungen geführt. Während meiner Studienzeit in Frankfurt konnte ich in der Pädagogischen Abteilung des Zoologischen Gartens Erfahrungen mit Kindergruppen sammeln.

Ich habe großes Interesse an jedem einzelnen Menschen, dem ich begegne, und empfinde aufrichtige Freude, mit anderen zusammen gemeinsame Ideen und Ziele zu verfolgen und zu verwirklichen. Den Kindern mein Interesse für und meine Liebe zur Natur nahezubringen, ist mir ein tiefes Bedürfnis. In der Johanniskita habe ich mit den Kindern Tomaten gepflanzt, geerntet und verzehrt, wir haben ein Vogelhäuschen aufgehängt, gemeinsam mit meiner Kollegin bei einem Ausflug zum alten Flugplatz Bonames Biberspuren angeschaut und im Ostpark eine Karpfenart, Teichhühner und Nilgänse besucht.

Die Kita hat ein teiloffenes Konzept mit verschiedenen Schwerpunkträumen, in die sich die Kinder nach Interesse einwählen können. Ich bin dem Forscherraum zugeordnet und nutze die Möglichkeiten unseres Außengeländes. Die Kinder sind fasziniert, dass ich bei meinen Tauchgängen im Meer schon Haien begegnet bin, und sie lassen sich fesseln von den Geschichten über den „echten Bobo Siebenschläfer“.

Ich habe selbst keine Kinder und finde es sehr schön, all diese Dinge, die ich in meinen Beruf gesehen und erlebt habe, an junge Menschen weitergeben zu können.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 26. Juli 2013 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.