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Aktuell

Von – 2. Juli 2013

Weiterleben nach Fehlern

Herr C. kann niemanden für sein Unglück verantwortlich machen. Womöglich war es sogar sein eigener Lebenswandel, der ihn krank gemacht hat. Doch im Vertrauen auf Gott ist glückliches Leben auch nach Fehlern und Schuld möglich.

Christoph Rahlwes ist Pfarrer im Bethanienkrankenhaus. Foto: Rolf Oeser

Christoph Rahlwes ist Pfarrer im Bethanienkrankenhaus. Foto: Rolf Oeser

Seit vielen Wochen besuche ich Herrn C. regelmäßig im Krankenhaus. Anfangs fürchtete er nur um seinen „offenen“ Fuß. Aber dann musste ihm das eine Bein ganz abgenommen werden, das andere halb. Herr C. macht sich Sorgen: Wie wird es nach der Reha weitergehen? Was ist mit seinem Arbeitsplatz, was mit dem Reihenhäuschen, in dessen Modernisierung die ganzen Ersparnisse als Altersvorsorge geflossen sind? Wie soll das alles mit Rollstuhl überhaupt gehen?

„Ach Herr Pfarrer, ich bin ja auch selbst schuld!“, sagt mir Herr C. „Mir hat es schon immer zu gut geschmeckt, und früher habe ich auch geraucht.“ Ja, Herr C. hat einen Bauch, aber er ist nun auch kein Zwei-Zentner-Mann. Hat er sich an seinem Körper „versündigt“, weil er nicht sein ganzes Leben lang den idealen Body-Mass-Index eingehalten hat?

Herr C. kann niemanden für sein Unglück verantwortlich machen. Es ist ihm kein Betrunkener ins Fahrrad gefahren, da wüsste man wenigstens, wer Schuld hat. Er hat sich auch keinen Virus eingefangen, dann könnte er mit dem Schicksal hadern, das ihm das angetan hat. Aber da ist weit und breit kein „Teufel“, kein „Gegengott“ am Werk gewesen.

Auf den ersten Blick macht es das Ertragen eines Unglücks ein wenig leichter, wenn sich ein Schuldiger benennen lässt. Dieses Bedürfnis steht sicher auch hinter so manchem Kunstfehlerprozess. Und es stimmt ja: Hinter meiner verschlossenen Seelsorger-Tür geben auch Ärzte und Ärztinnen hin und wieder zu, dass sie schon mal einen Fehler gemacht haben. Auch sie sind schließlich nur Menschen und eben keine „Herrgötter in Weiß“. Und Menschen machen nun mal Fehler.

Er ist in der Bibel das Beispiel schlechthin für jemanden, der riesengroße Schuld auf sich geladen hat, aber – Gott sei Dank – doch gut weiter leben kann: Kain, der seinen Bruder Abel aus Neid umgebracht hatte, heiratete, bekam Kinder und gründete sogar eine Stadt; hier dargestellt von einem französischen Maler im 17. Jahrhundert. Foto: Yorck-Projekt

Er ist in der Bibel das Beispiel schlechthin für jemanden, der riesengroße Schuld auf sich geladen hat, aber – Gott sei Dank – doch gut weiter leben kann: Kain, der seinen Bruder Abel aus Neid umgebracht hatte, heiratete, bekam Kinder und gründete sogar eine Stadt; hier dargestellt von einem französischen Maler im 17. Jahrhundert. Foto: Yorck-Projekt

Nach christlichem und jüdischem Glauben bleibt Gott immer an der Seite der Menschen, egal wie schwer ihre Fehler sind, egal wie groß ihre Schuld. In der Bibel wird erzählt, wie Jesus reagiert, als er nach der angeblich glasklaren Schuld einer Sünderin gefragt wird. Er antwortet einfach: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“ Er muss sich dabei sehr sicher gewesen sein, dass es in der Menge nicht einen wirklich vollkommenen Menschen gab, denn schon ein einziger hätte nach so einer Aufforderung ja schlimmen Schaden anrichten können.

Im Krankenbett schauen viele Menschen auf ihr bisheriges Leben zurück, und natürlich erinnern sie sich dann nicht nur an die Höhepunkte – auch wenn das bei vielen zum Glück im Vordergrund steht. Aber gerade wenn der Körper schmerzt oder sogar das Leben sich dem Ende zuneigt, kommt unweigerlich auch die Frage auf: Was ist schief gelaufen, was habe ich falsch gemacht? Kann ich jetzt noch etwas wieder in Ordnung bringen? Und was, wenn das nicht mehr möglich ist?

Vielleicht sind es nur kleine Dinge, die man hätte besser machen können. Dann reicht vielleicht die Zusage, dass wir vor Gott keine Helden zu sein brauchen. Doch wenn es um echte Schuld geht, unter der das eigene Leben oder das eines anderen dauerhaft und schwerwiegend leidet – dann gilt es zunächst, die Trauer darüber auszuhalten. Aber Christinnen und Christen können dieser Trauer dann im Namen Gottes auch Grenzen setzen: Gott weiß um gescheitertes Leben und belässt es doch nicht dabei. Neues, von Gott gesegnetes Leben ist trotz allem möglich.

Nur so kann auch der Arzt, der einen Fehler gemacht hat, wieder den Mut finden, dem nächsten Patienten nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen. Und Herr C. kann die Kraft finden, nicht in Schuldgefühlen stecken zu bleiben, sondern darauf zu vertrauen, dass sein Leben auch jetzt noch glücklich weiter gehen kann. Eine Lösung für den Rollstuhl im Reihenhaus wird sich dann auch finden.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 2. Juli 2013 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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