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Aktuell

Von – 7. November 2013

Sollen Flüchtlinge Neubürger werden? Nein!

Ich bin dagegen. Lieber halte ich mich an das Wissen der Alten. Der Uralten.

Im Alten Testament heißt es: Kümmere dich um Flüchtlinge und Fremde so, dass sich die Grenze zwischen Eingesessenen und Dazugekommenen verwischt. So steht es im Zentrum, in der Mitte der Tora, der fünf Bücher Mose: „Wie ein Einheimischer aus eurer eigenen Mitte soll euch der Fremdling gelten, der bei euch wohnt und du sollst ihn lieben wie dich selbst“. (3. Mose 19,34)

Das klingt anders als „Neubürger“. Die Begründung unterscheidet sich auch von dem, was in der Erziehung oft als Argument zum Einsatz kommt: „Schau doch, in welch schönem Haus du wohnst“, kann ein Kind hören: „Und wie viele Spielsachen du hast, dazu Freunde und Mami und Papi. Also gib ein wenig ab.“

Diese Art des Helfens findet sich auch unter Erwachsenen. Man beugt sich zum Anderen herab, es ist hierarchisch gedacht. Die Hinwendung, falls religiös motiviert, ist dann ganz nebenbei auch noch eine raffinierte Selbstvergewisserung, von Gott aus welchen Gründen auch immer besser gestellt worden.

Im Alten Testament wird der Flüchtling geschützt – aus Selbstliebe. Es ist ein Egozentrismus, der das Gegenteil von Egoismus ist und einen verwirrenden Zauber entfaltet. Denn der Andere, der Flüchtling, ist dann mitunter gar kein Anderer mehr, sondern ein Mensch wie du und ich, die wir nicht vergessen sollen, dass wir schon immer und für immer flüchtige Wesen sind.

So allgemein klingt das bei den Alten aber nicht. Bei Flucht denkt man an eine konkrete Erfahrung. Es ist die religiöse Urerfahrung des Judentums und auch des Christentums. Zugleich eine tief reichende Quelle, aus der Weisheiten und Weisungen bis heute sprudeln.

Unendliche Lust an den Geboten

Mit einer unendlichen Lust an der Variation wird im Alten Testament beschworen, dass dies oder das getan werden soll, weil man doch erfahren habe, dass man einst als Sklaven in Ägypten lebte. Dann kam die Flucht. Auf ihr fußen auch die Zehn Gebote. So stellt sich der Ewige dort vor als der, der „ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ (2 Mose 20,2)

Auch das wichtigste Fest der Juden hat seinen Grund darin, dass Gott die Israeliten entfesselte und zu freien Wanderern machte. Die Festspeise an Passa? Trockenes Brot. Denn ohne Proviant brach man auf. Rasch griff man den rohen Teig, der noch nicht durchgesäuert war, und trug ihn in Backschüsseln in Mäntel gewickelt auf den Schultern. Bei der ersten Rast wurde er gebacken. So soll man Passa feiern und dies Brot essen: „Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen als die, die hinwegeilen.“ (2. Mose 12,11)

Gottes Volk: Ohne Asyl, Mietwohnung und Bausparvertrag

Die Urerfahrung der Flucht blinkt auch dann noch auf, als die Hebräer schon lange sesshaft waren. Selbst König David wird nicht als souveräner Könner gezeigt, zumindest nicht nur, sondern als Verfolgter, der Gott anruft: „Zähle die Tage meiner Flucht, sammle meine Tränen in deinen Krug; ohne Zweifel du zählst sie.“ (Psalm 56,9) Der wohl beliebteste Herrscher Israels: ein Flüchtling. Und Gott? Schaut nicht weg.

Deswegen sollen Flüchtlinge keine Neubürger sein, die sich dank eines jahrzehntelangen Engagements vor Ort sich irgendwann einmal (vielleicht!) den Status als Nicht-mehr-ganz-so-neu-Bürger erarbeiten dürfen. Nein, die Hebräer konnten auf ihren jahrzehntelangen Wanderungen noch nicht mal den Status als Neubürger vorweisen. Sie waren ohne Haus, Asyl, Mietwohnung oder Bausparvertrag. Und selbst der Tempel hatte keinen festen Platz, sondern war nichts anderes als eine Hütte. Wenn man rastete, baute man sie auf, darin rasteten die Tafeln mit den zehn Geboten. Sie erzählen davon, dass Menschen, Familien oder Völker in den seltensten Fällen ohne Abschied und Bewegung auskommen.

 

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 7. November 2013 in der Rubrik Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

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Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.