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Von – 11. Dezember 2013

Führungsetage der Welt

„Vom Himmel hoch, da komm ich her” – mit diesen Worten führt sich der Verkündigungsengel in dem bekannten Weihnachtslied ein. Seine Selbstvorstellung gewährt einen Blick in die himmlische Welt – vorausgesetzt, man nimmt ihm seine Herkunft ab.

Sky oder Heaven? Das Englische ist schlau und hat zwei Worte für "Himmel". Foto: Antje Schrupp

Sky oder Heaven? Das Englische ist schlau und hat zwei Worte für „Himmel“. Foto: Antje Schrupp

Während sich der meteorologische Himmel beobachten und wissenschaftlich auswerten lässt, entzieht sich der Himmel, in dem Gott und die „himmlischen Heerscharen“ wohnen, jedem Nachweis seiner Existenz. An diesen Himmel muss man glauben, man kann ihn nicht beweisen.

Aber selbst die Gläubigen haben keinen wirklichen Einblick. Manchmal kommt – wie in dem Weihnachtslied – ein Bote aus dieser verborgenen Welt. Oder ein Mensch, etwa der Seher Johannes im Buch der Offenbarung, darf ausnahmsweise einen mehr oder weniger kurzen Blick in diese Welt werfen und plaudert das dann aus. Aber auf Dauer zugänglich wird der Himmel nur denen, die Gott „zu sich holt“.

Zwischen dem Himmel, den man sehen kann, wenn man im Freien nach oben schaut, und dem Himmel, der die Sphäre Gottes bezeichnet, besteht also ein „himmelweiter“ Unterschied – weshalb es nur vernünftig ist, dass es zum Beispiel im Englischen dafür zwei verschiedene Wörter gibt: Sky und heaven. Doch auch der göttliche Himmel, „heaven“ also, ist nicht ganz Jenseitig, sondern tritt mit der Erde in Verbindung.

Einige Geschichten berichten davon, etwa wenn Jakob auf seiner Flucht von einer Himmelsleiter träumt, an der Engel auf- und niedersteigen. Oder wenn die „himmlischen Heerscharen“ (die Gott in seiner Allgegenwart und Allmacht unterstützen) in der Weihnachtsgeschichte die Geburt Jesu deuten. Schließlich wird Jesus genau deshalb Mensch, damit Gott bereits hier auf der Erde sichtbar und erfahrbar wird.

Umgekehrt gibt es jedoch für Menschen keinen unautorisierten Zugang zum Himmel. Wo sie versuchen, sich den zu verschaffen, geht es schief, wie der Turmbau zu Babel zeigt, das himmelstürmende Unternehmen schlechthin: Er bleibt unvollendet.

Das Wort „Himmel“ steht für eine göttliche und vollkommene Welt, die sich grundlegend vom irdischen „Diesseits“ unterscheidet, das immer unvollkommen ist. Der Himmel lässt sich nicht lokalisieren, sondern er ist überall, wo Gott wirkt. Man kann also nicht hübsch trennen zwischen der Welt „hier unten“ und dem Himmel „da oben“, sondern es ist eher eine Frage der Perspektive: Es gibt eine diesseitige Sicht der Dinge (der es an Übersicht und Weitblick mangelt), und eine Perspektive Gottes (die alles für alle Zeit im Blick hat). Und es gibt den (in Zeit und Raum begrenzten) Machtbereich der Menschen und die (in jeder Hinsicht unbegrenzte) Herrschaft Gottes.

So gesehen ist es dann auch wieder logisch, dass man sich den Himmel „oben“ vorstellt, gewissermaßen als „Führungsetage“ der Welt, wo völlig souverän Entscheidungen getroffen werden, deren Folgen sich von nichts und niemandem aufhalten lassen – auch nicht von den reichsten, mächtigsten und skrupellosesten Menschen, die es gibt.

Zum Glück. Denn ohne eine solche himmlische Herrschaft ginge die unvollkommene Welt an sich selbst zugrunde. Sie braucht gewissermaßen einen Impuls von „oben”, damit sie gut wird.

Wenn Jesus im Vaterunser betet: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden”, dann zielt er darauf, dass das „Oben“ auch „unten“ auf der Erde spürbar werden möge. Das Ziel der Geschichte ist eine vollkommene Verbindung zwischen Himmel und Erde. Sie ist nach christlicher Überzeugung möglich, wenn sich die Menschen ganz von Gottes Willen leiten lassen. Die Weihnachtsgeschichten zeigen mit feiner Ironie, wie die Entscheidungen von Kaiser und Königen schon jetzt in Wirklichkeit aus dem Himmel gelenkt werden. Sie sind Teil eines groß angelegten himmlischen Planes, den Heiland zur Welt kommen zu lassen, auch wenn das den mächtigen Herrschern nicht gefällt.

Jesus selbst gibt in seinen Wundern Anhaltspunkte dafür, dass manchmal der Himmel auf Erden punktuell erfahrbar wird. In der Bergpredigt spricht er davon, dass die „Armen“ glücklich seien, weil sie einen Anteil am Himmelreich haben und dadurch eine Lebensperspektive gewinnen. Sie sind nicht mehr passiv, sie haben Möglichkeiten, zu handeln.

In der realen Welt zahlt es sich nicht aus, alles vom Himmel zu erwarten. Es gibt scheinbar unüberwindliche Trauer und Ungerechtigkeiten, und oft sieht es so aus, als ob Sanftmut, Barmherzigkeit und Friedfertigkeit kaum etwas austragen. An den „Himmel“ zu glauben bedeutet, trotzdem auf eine paradoxe Verheißung zu vertrauen: auf die Aufhebung allen Mangels, auf die Nachhaltigkeit eines Handelns aus Liebe.

Was Menschen vom Himmel erfahren, verändert ihr Lebensgefühl. Es ist ein Trost, zu wissen, dass Gott alles in der Hand hat, auch wenn es vordergründig ganz anders aussehen mag. Es ist eine Gnade, zu erfahren, dass der Himmel auch ohne menschliches Zutun auf Erden Wirklichkeit wird. Es weckt die Lebensgeister, in dieser Erwartung zu leben.

Gerade die berühmten „kleinen Leute“ verstehen sich dann nicht mehr nur als Opfer und Objekt der Mächtigen, sondern sie lassen sich inspirieren, im Vorschein des kommenden Himmelreiches so zu leben, wie Jesus es gezeigt hat. Oder in den Worten des Dichters Kurt Marti: „Der Himmel, der kommt, grüßt schon die Erde, die ist, wenn die Liebe das Leben verändert.”

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 11. Dezember 2013 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.

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