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Von – 5. Februar 2014

Prima leben ohne Privatsphäre?

Spätestens seit Edward Snowden ist es keine Verschwörungstheorie mehr, sondern bewiesene Tatsache, dass Geheimdienste die Privatsphäre ganz normaler Menschen ausspähen. Und wer heute nicht im Internet sozial vernetzt ist – und dort Daten von sich preisgibt – verpasst eine ganze Menge. Das Ende der Privatsphäre, so scheint es, ist unaufhaltsam.

Was tun, wenn die Privatsphäre immer löchriger wird? Christian Heller bei seinem Vortrag in der Evangelischen Akademie am Römerberg. Foto: Ilona Surrey

Was tun, wenn die Privatsphäre immer löchriger wird? Christian Heller bei seinem Vortrag in der Evangelischen Akademie am Römerberg. Foto: Ilona Surrey

Der liebe Gott sieht alles, hieß es früher. Heute gibt es noch jede Menge anderer Instanzen, die uns überwachen. Wer über die Zeil schlendert, wird von Videokameras gefilmt. Alle möglichen Behörden und Dienstleister sammeln Informationen über uns, und nicht selten kommt es vor, dass sie diese dann „verlieren“. Die Webcam an unserem Computer kann von fremden Leuten gehackt werden (Tipp: Abkleben!). Amazon weiß, was wir kaufen, Facebook weiß, wen wir kennen (dazu müssen wir gar nicht selber auf Facebook sein), und Google weiß nicht nur, auf welchen Seiten wir surfen, sondern auch, was in unseren Mails steht.

Ob Staat oder Privatwirtschaft – alle sammeln Daten

Um die Privatsphäre ist es ganz offensichtlich nicht mehr gut bestellt. Spätestens seit der frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden die Beweise dafür öffentlich gemacht hat, ist klar, dass der amerikanische Geheimdienst alles über uns sammelt, was er kriegen kann. Und die Geheimdienste anderer Länder, Deutschland inklusive, sind da nicht besser – der Bundesnachrichtendienst etwa kooperiert eng mit der NSA. Ob Staat oder Privatwirtschaft: Alle nutzen die Möglichkeiten der Netzwerktechnologien, um an so viele Informationen wie möglich über uns zu kommen.

Bricht also das Zeitalter von „Post-Privacy“ an, eine Epoche, in der es Privatheit, wie wir sie kannten, nicht mehr gibt? Diese These vertritt der Berliner Publizist Christian Heller, der seinem gleichnamigen Buch den Untertitel „Prima leben ohne Privatsphäre“ gegeben hat. In der Evangelischen Akademie Frankfurt am Römerberg eröffnete er mit seinem Vortrag die Reihe „Mensch-Werdungen“.

Datenschutz versus Data-Love

Heller beschrieb zwei gegensätzliche Weisen, wie heute an das Thema herangegangen wird: Auf der einen Seite sind die, die für mehr Datenschutz eintreten. Sie fordern „Datensparsamkeit“ und wollen verbieten, dass Daten, die zu einem bestimmten Zweck gesammelt wurden, weitergegeben oder für andere Zwecke ausgewertet werden. Sie sehen im Schutz der Privatsphäre einen hohen Wert, der für demokratische Freiheiten unerlässlich sei.

Auf der anderen Seite steht die „Datalove“-Bewegung, also Menschen, die im freien Fluss von Informationen Chancen für die Gesellschaft und die Demokratie sehen. Wenn nicht nur der Staat oder große Wirtschaftskonzerne Zugriff auf die Daten der Menschen haben, sondern alle, dann, so glauben sie, könnten auch alle einen Nutzen davon haben.

Denn es sind ja nicht nur „die da oben“, die den Menschen ihre Daten heimtückisch abluchsen. Sehr viele Menschen geben ganz freiwillig Informationen über sich preis. Sie teilen Fotos auf Facebook, schreiben Tagebücher ins Internet – und zwar nicht aus Eitelkeit, sondern weil sie etwas davon haben. Sie können sich so besser mit anderen vernetzen, lernen interessante Menschen kennen, beteiligen sich an politischen Debatten, können sich besser mit Gleichgesinnten verbünden und gemeinsame Aktionen planen.

Privatsphäre entstand erst in der Neuzeit

Ohnehin ist die Privatsphäre nicht erst mit dem Internet in Frage gestellt worden. Das Konzept der Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit, so Heller, entstand eigentlich erst in der Neuzeit, und da auch zunächst nur im Bürgertum. Vorher war es normal, dass Menschen in Räumen arbeiteten, aßen, schließen, die auch von vielen anderen genutzt wurden.

Hinzu kommt, dass der bürgerliche Schutzraum „Privatsphäre“ nicht nur positive Aspekte hatte. Frauen zum Beispiel wurden darin eher „eingeschlossen“, der Zugang zur Öffentlichkeit – etwa die Mitgliedschaft in politischen Vereinen – war ihnen verboten. Und als „Privatsache“ galt es früher auch, wenn Eltern ihre Kinder schlugen.

Was in die Privatsphäre gehört und was nicht, ist ohnehin von Kultur zu Kultur verschieden. In skandinavischen Ländern wie Norwegen zum Beispiel gilt das Einkommen nicht als Privatangelegenheit, deshalb können Steuererklärungen öffentlich von allen, die das interessiert, eingesehen werden. In Deutschland wäre das undenkbar. Dabei könnte gerade hier mehr Transparenz auch für mehr Gerechtigkeit sorgen. Für ihn als Freiberufler, so Heller, wäre es in Honorarverhandlungen ganz hilfreich, zu wissen, wie viel andere Vortragende bekommen.

Protestantismus: Fenster ohne Gardinen

Dass gerade der Protestantismus besonders auf Transparenz setzt, war ein Hinweis, der aus dem Publikum kam. In der Tat geht die niederländische Sitte, keine Gardinen am Fenster zu haben, wohl auf reformatorisches Gedankengut zurück: Wer fromm lebt, hat halt nichts zu verbergen.

Doch genau hier wird auch das Problem der Postprivacy deutlich: Das Offenlegen der eigenen Privatsphäre fällt umso leichter, je „normaler“ jemand ist. Wer im Mainstream schwimmt, hat keine Kritik zu befürchten. Doch was ist mit denen, deren Vorlieben und Gewohnheiten nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen?

Das Private als Schutzort für Nonkonformismus

Das Private kann auch ein Schutzort sein für Nonkonformismus. Andererseits können „Coming Out“-Strategien, also die Öffentlichmachung von Vorlieben, die der Mainstream nicht teilt, auch befreiendes Potenzial haben: Wenn vielfältige Ansichten und Lebensformen sichtbar sind, dann ist das vielleicht auch eine Ermutigung für andere, die sich bisher nicht „trauen“. Aber es kann eben auch Gefahren für diejenigen mit sich bringen, die einen solchen Schritt tun.

Christian Heller selbst stellt jedenfalls fast alles von sich ins Internet: wann er aufsteht, was er isst, wie viel er verdient und was er gerade liest. Aber er weiß auch, dass er das aus einer privilegierten Situation heraus tut, die andere so nicht haben.

„Und wer will das überhaupt alles wissen?“ fragte schließlich eine Zuhörerin. Ja, viele interessiert das vielleicht nicht. Aber eben manche. Studienleiter Ralph Fischer fand es jedenfalls beruhigend, im Internet verfolgen zu können, dass Heller rechtzeitig im Zug nach Frankfurt saß und dann noch in der Schäfergasse einen Döner aß. „So wusste ich, dass der Referent pünktlich hier sein würde.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 5. Februar 2014 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Kommentare zu diesem Artikel

  • H. Schwarzenroth schrieb am 7. Februar 2014

    Bei der Kritik an Post-Privacy geht es übrigens nicht nur um „Vorlieben und Gewohnheiten“, die auf Ablehnung und Schlimmeres stoßen könnten. Die so genannte „Datalove“-Bewegung reflektiert auch (noch) in keinem Maße ihre eigene Privilegiertheit (natürlich sind die Protagonist_innen meist bei PODIUMSdiskussionen und in der bürgerlichen Presse zu finden; es sind übrigens fast nur weiße Männer) und die komplexen Wirkmechanismen von Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnissen. Schade eigentlich.

    Zu Christian Hellers einfältiger Denkweise gibt es beispielsweise folgenden Bericht von einer Diskussion beim BStU:

    „Das ist harmlos. Ich führe kein außergewöhnliches Leben. Darüber hat es bis jetzt auch noch keine Aufregung gegeben“, so Heller. Negative Auswirkung kenne er bisher nicht.
    „Das ist naiv“, konterte Peter Schaar. Es ginge ja nicht nur darum, ob die Daten kommerziell ausgewertet würden, um Werbung zu schalten. „Was ist, wenn diese Daten eines Tages vom Staat genutzt werden und gegen Sie verwendet würden?“ Heller räumte ein, dass in manchen Ländern so die Opposition ausspioniert werde, um gegen sie vorzugehen. In Deutschland könne davon natürlich keine Rede sein und daher sei es eben harmlos.

    Ist dieser Staat / diese Gesellschaft für alle wirklich so „harmlos“?

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