Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 13. März 2014

„Weg mit dem! Kreuzige ihn!“

Bald werden wieder Johann Sebastian Bachs Vertonungen der Passion in vielen Kirchen erklingen. Sie trösten und berühren. Doch ihre Texte sind teilweise judenfeindlich.

Bach, gemalt von Elias Haussmann im Jahr 1748.

Bach, gemalt von Elias Haussmann im Jahr 1748.

Wenn etwa der „Chor der Juden“ inbrünstig singt: „Weg, weg mit dem, kreuzige ihn!“, dann wird damit suggeriert, „die Juden“ wären Schuld an Jesu Tod. Kann man solche Szenen heute noch unkommentiert aufführen?

Zu einer Tagung über Bachs Antijudaismus hat das Zentrum Verkündigung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau nach Frankfurt eingeladen. Rund 75 Kirchenmusikerinnen, Chorsänger und Interessierte aus ganz Deutschland sind gekommen. Sie analysieren problematische Textpassagen, hören Vorträge und schreiben eigene Ideen und Vorschläge auf Wandzeitungen.

„Antijudaismus und Antisemitismus schlugen sich immer wieder in großen musikalischen Werken nieder“, sagt Norbert Abels, Chefdramaturg der Frankfurter Oper. Zwar lebte Bach (1685-1750) im Zeitalter der beginnenden Aufklärung. Aber in seiner Bibliothek befand sich zum Beispiel auch Johann Müllers 1644 entstandenes Werk „Judaismus oder Judentum“, das scharf gegen alle „Andersgläubigen“ polemisierte. Es wäre „interessant, wie viel aus diesem Buch in die Passionen mit hineinkam“, sagt Abels.

Die jüngeren angehenden Kirchenmusiker finden hingegen rechtsradikale Rockkonzerte viel problematischer als antijüdische Textstellen in der Johannes- oder Matthäuspassion. Da seien nämlich keine Ausschreitungen zu befürchten. Ganz auf Bachs Passionen verzichten will kaum jemand. „Die Kirchen sind voll bei Passionen“, ist immer wieder zu hören.

Doch es geht eben nicht einfach nur um die Musik, um Rhythmus und Melodie. „Kirchenmusik betreibt Verkündigung, also Kommunikation des Evangeliums“, steht auf einer Wandzeitung, „Wenn ich das Stück ohne Kommentar aufführe, ist das keine Verkündigung.“ Mehr theologische Auseinandersetzung, Einführungsvorträge und Kommentare ins Programm zu schreiben, lauten weitere Vorschläge.

Auf dem Podium formuliert Bernd Stegmann, Rektor der Heidelberger Hochschule für Kirchenmusik, die Idee, bei manchen Aufführungen nicht die komplette Passion zu bringen, sondern sie in einen Zusammenhang mit anderen Stücken zu stellen. Bernhard Leube, Dozent der Hochschule für Kirchenmusik in Tübingen, gibt jedoch zu bedenken, wie heikel es sei, „in die Architektur einer Bach-Passion“ einzugreifen. Auch Opern-Dramaturg Abels warnt vor Streichungen und Kürzungen von Stücken, weil sie „eine eigene Atmung haben“.

Kirchenmusikdirektorin Christa Kirschbaum, die die Tagung gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Frankfurt konzipiert hatte, ist „dankbar für die vielen Fragen, die jetzt artikuliert wurden“. Sie fordert dazu auf,  dranzubleiben, das Gespräch zwischen Theologie und Kirchenmusik zu führen und das Thema in die Gemeinden und in die Ausbildung zu tragen.

Dramaturg Norbert Abels würdigt in seinem Abschluss-Statement das „musikalische Sphärenuniversum“ das Bach in den Passionen erstehen ließ, und betont noch einmal: „Was wir hier diskutieren, steht nicht der Dignität des vielleicht größten Musikers aller Zeiten entgegen“.

Auf www.zentrum-verkuendigung.de wird Anfang März Material der Tagung ins Netz gestellt.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 13. März 2014 in der Rubrik Kultur, erschienen in der Ausgabe , .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.