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Von – 15. April 2014

„Andere Leute zahlen für unseren Konsum“

Überfischung der Meere, Streit um Rohstoffe für Schmuck und Handys: Die westliche Lebensweise hat viel damit zu tun, warum Menschen aus Afrika nach Europa fliehen.

„Montags ist die Grenze auf“

Es ist nicht weit vom Gemeindehaus der Hoffnungsgemeinde in der Hafenstraße bis zur Gutleutkirche. Dort leben immer noch zwanzig in Frankfurt gestrandete afrikanische Flüchtlinge. Auch einige von denen, die sie unterstützen, sind in den Gemeindesaal gekommen, um beim Vortrag der Politologen Jens Wissel und Sebastian Wolff  zu hören, wie es sich verhält mit der europäischen Migrationspolitik und unserer eigenen Lebensweise hier in Deutschland.

„Montags ist die Grenze auf“, sagt Sebastian Wolff über seine Erfahrungen im Süden der USA. Zwar schotte sich die reiche USA gegen Armutsflüchtlinge aus Mexiko ab. Da sie aber trotzdem billige Wanderarbeiter auf den  Feldern brauche, so erfuhr Wolff bei einem Besuch im Grenzgebiet, sei  montags die Grenze passierbar. Anschaulich erläutert der Politologe, wie es auch in Spanien nach einem ganz ähnlichen Prinzip funktioniere, wo nämlich Afrikaner auf pestizidverseuchten Feldern zu Hungerlöhnen Erdbeeren ernten und oft genug um ihren Lohn geprellt werden. Wer keine Rechte hat, ist leicht auszubeuten.

Deutschland ist als EU-Binnenland fein raus

Wissel und Wolff haben vier Jahre lang beim Frankfurter Institut für Sozialforschung über die Frage geforscht, wie sich im europäischen Integrationsprozess die gemeinsame Außengrenze der Europäischen Union und die weiter bestehenden nationalstaatlichen Grenzen zueinander verhalten. Eine ihrer vier Fallstudien widmeten sie der so genannten „Dublin II-Verordnung“, die auch den Lampedusa-Flüchtlingen im Gutleut zum Fallstrick wurde: Sie reisten via Italien in die EU ein, und deshalb müssen sie nach „Dublin II“ auch dort ihr Asylverfahren betreiben.

Die Konflikte spielen sich also an der Ost- und Südgrenze der EU ab, Deutschland, das keine Außengrenze hat, ist davon nicht direkt betroffen. Doch die ressourcenverbrauchenden Lebensgewohnheiten des Nordens sind eine der wichtigsten Ursachen für die weltweiten Fluchtbewegungen: „Andere Leute zahlen für unseren Konsum“. Zum Beispiel waren viele Schlepper, die heute Flüchtlinge von Mali zu den Kanarischen Inseln bringen, früher Fischer. Doch große hochtechnisierte Fangflotten fischten ihre Küsten leer und raubten ihnen die Lebensgrundlage. Viele kommen auch auf der Flucht vor ökologischen Katastrophen, oder vor Bürgerkriegen um wertvolle Rohstoffe wie Coltan (ein Erz, das für Handys gebraucht wird), Gold oder Diamanten, so Wissel.

Satelliten überwachen das Mittelmeer

Am Beispiel von Spanien machten die beiden Wissenschaftler deutlich, wie Grenzschutz in der Festung Europa funktioniert. 2007, in Zeiten des Wirtschaftsbooms, kamen Menschen aus Lateinamerika per Flugzeug und aus Nordafrika mit Booten nach Spanien. Damals erreichten noch 40000 Menschen mit Booten die spanische Küste, 2012 gelang das nur noch 3800 Flüchtlingen. Zunächst wurden Radar, Videoüberwachung und Infrarotkameras zur Ortung eingesetzt, inzwischen ermöglicht das gesamteuropäische satellitengestützte System „Mariss“ eine fast lückenlose Überwachung des Mittelmeeres. 2006 begannen die Operationen der EU-Grenzschutzagentur Frontex, die bis in die Hoheitsgewässer westafrikanischer Staaten vordrang, um Flüchtlinge zurückzudrängen. Durch solche Abkommen würden afrikanische Staaten zu „Türstehern Europas“ gemacht, kritisierte Wolff. Inzwischen steuern Koordinationszentren beispielsweise auf den Kanarischen Inseln „ein riesiges Konvolut von Akteuren“.

Diese europäische Grenzpolitik sei menschenverachtend, da waren sich Referenten und Publikum einig. Doch wie ließe sie sich verändern? Sebastian Wolff: „Es wird sich nur etwas ändern, wenn es einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel gibt.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 15. April 2014 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.