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Von – 27. Mai 2014

Die letzten Wochen

Hospize sind darauf spezialisiert, schwerkranken Menschen auch in der letzten Lebensphase noch möglichst viele schöne und erfüllte Momente zu ermöglichen. „Oft wird gesagt, man ginge ins Hospiz, um zu sterben“, sagt Pfarrer Reinhold Dietrich, „aber das stimmt nicht. Die Menschen kommen hierher, um zu leben.“

Zeit für Freude an alltäglichen Dingen: Pfarrer Reinhold Dietrich mit einer Patientin im Evangelischen Hospiz Frankfurt. Foto: Ilona Surrey

Zeit für Freude an alltäglichen Dingen: Pfarrer Reinhold Dietrich mit einer Patientin im Evangelischen Hospiz Frankfurt. Foto: Ilona Surrey

Der Seelsorger im Evangelischen Hospiz Frankfurt begleitet Menschen in der letzten Lebensphase. Er ist Teil eines eingespielten Teams aus Ärztinnen, Therapeutinnen, Pflegekräften, Hauswirtschafterinnen und Ehrenamtlichen. Zwölf Zimmer gibt es hier in der Rechneigrabenstraße. Im vorigen Jahr wurden 178 Patientinnen und Patienten betreut, durchschnittlich verbrachten sie 24 Tage im Hospiz. Die allermeisten starben auch hier. Im Schnitt waren sie 72 Jahre alt.

In einem Hospiz, betont Geschäftsführerin Dagmar Müller, geht es darum, Leben positiv zu gestalten. Nicht so, dass immer noch eine weitere Therapie versucht wird, um den Zeitpunkt des Todes ein wenig hinauszuzögern. Sondern indem alles dafür getan wird, dass der Lebensabschnitt, der noch bleibt, so schön und erfüllt wie möglich ist.

Schmerzen leiden muss niemand

Schmerzen leiden muss heute eigentlich niemand mehr. Die Palliativmedizin, also eine auf Schmerzfreiheit statt auf Lebensverlängerung ausgerichtete Behandlung, hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. „Das hat sich inzwischen auch herumgesprochen“, sagt Pfarrer Dietrich. „Wovor die Menschen heute noch Angst haben, ist das Ersticken.“ Im Hospiz könnten sie aber sicher sein, dass ihnen das nicht droht. „Sobald jemand Beschwerden hat, kommt eine Pflegerin mit den entsprechenden Medikamenten, die auch sofort wirken“, sagt Müller.

Die Sorge, dass ein Leben mit schwerer Krankheit und Pflegebedürftigkeit qualvoll und nicht mehr lebenswert wäre, ist einer der Hauptgründe, warum die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe in Deutschland wächst. 58 Prozent aller Deutschen befürworten nach Angaben des Instituts für Demoskopie in Allensbach aktive Sterbehilfe, nur 19 Prozent sind dagegen, der Rest unentschieden. Und obwohl die christlichen Kirchen sich klar gegen aktive Sterbehilfe aussprechen, weichen die Auffassungen von Kirchenmitgliedern nur wenig vom Durchschnitt ab: Auch 56 Prozent der evangelischen und 50 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder sind laut Allensbach dafür.

Pfarrer Reinhold Dietrich und Geschäftsführerin Dagmar Müller. Foto: Ilona Surrey

Pfarrer Reinhold Dietrich und Geschäftsführerin Dagmar Müller. Foto: Ilona Surrey

Dagmar Müller glaubt, dass hinter diesem Trend auch eine Kultur steht, die Hilfsbedürftigkeit und Abhängigkeit prinzipiell negativ bewertet. Wo Autonomie und Eigenverantwortung als höchste Ziele gefeiert werden, ist es kein Wunder, dass Menschen, die das nicht mehr leisten können, sich minderwertig vorkommen. Und in der Tat ist der Wunsch, „niemandem zur Last zu fallen“, neben der Angst vor Schmerzen der zweithäufigste Grund, der im Zusammenhang mit Sterbehilfe genannt wird. „Dass Lasten geteilt werden“, betont Pfarrer Dietrich, „ist aber ein wesentlicher Teil des christlichen Gesellschaftsbildes“.

„Wir haben nicht geübt, andere um Hilfe zu bitten“

„Wir haben es nicht eingeübt, andere um Hilfe zu bitten“, sagt Dagmar Müller. Sie meint das ganz konkret. „Viele ältere Menschen lehnen ab, wenn ihnen in der U-Bahn ein Platz angeboten wird. Warum eigentlich?“ Dass man älter wird und dann körperlich nicht mehr so gut kann, sei doch schließlich ganz normal. „Man sollte deshalb regelrecht üben, andere um Hilfe zu bitten“ rät sie. Wieso nicht den jungen Nachbarn fragen, ob er die schweren Einkaufstüten nach oben trägt? „Wenn man sich früh genug daran gewöhnt, Hilfe anzunehmen, ist es vielleicht später nicht so schwer, wenn man tatsächlich darauf angewiesen ist.“

Im Hospiz ist das Team darauf eingestellt, den Menschen jede notwendige Hilfe zu geben und ihnen gleichzeitig die größtmögliche Selbstbestimmung zu ermöglichen. „Man kann auch in dieser Lebensphase oft noch vieles selber regeln“, sagt Dietrich.

Manchmal erlebt er durchaus, dass Patientinnen und Patienten den Wunsch äußern, „jetzt endlich zu sterben“, aber oft sei das ambivalent. „Es kann sein, dass eine alte Frau in einem Moment sagt, sie wünsche sich den Tod, aber eine halbe Stunde später freut sie sich über das schöne Wetter oder darauf, dass ihr Enkel morgen zu Besuch kommt.“

Der Entschluss, in ein Hospiz zu gehen, sei oft nicht leicht, weder für die Betroffenen, noch für die Angehörigen. „Es gibt da einen großen Beratungsbedarf“, sagt Dagmar Müller. Oft gelte es zum Beispiel, abzuwägen, ob noch eine weitere Therapie im Krankenhaus versucht werden soll oder nicht. Die Entscheidung für ein Hospiz ist auch mit dem Eingeständnis verbunden, dass eine Heilung nicht mehr möglich ist, dass der Tod nun wirklich nur noch eine Frage der Zeit ist.

„Der Schritt ins Hospiz ist der letzte und endgültige Schritt“, sagt Pfarrer Dietrich, „aber er ist oft auch eine Befreiung. Viele alltägliche Dinge sind dann weg, man kann sich auf das konzentrieren, was einem wirklich wichtig ist.“ Das kann durchaus auch etwas so scheinbar Banales sein, wie noch einmal die Lieblingswurst von diesem speziellen Stand in der Kleinmarkthalle zu genießen, oder ein gutes Fußballspiel anzuschauen.

Gute Tage, schöne Erlebnisse, genussvolle Momente kann es in jeder Lebensphase geben. Auch in der allerletzten.

Hintergrund: Hospize in Deutschland

Foto: Ilona Surrey

Foto: Ilona Surrey

Hospize sind in Deutschland relativ gut ausgestattet, da die Pflegesätze hier deutlich höher sind als in Altenpflegeheimen. Außerdem steht hinter den Einrichtungen immer ein engagierter Träger, denn Hospize müssen zehn Prozent ihres Budgets selbst aufbringen. Auf diese Weise wird verhindert, dass mit der letzten Lebensphase Geschäfte gemacht werden – für rein gewinnorientierte Unternehmen ist der Betrieb eines Hospizes uninteressant. Im Fall des Evangelischen Hospizes Frankfurt sorgt ein Förderverein dafür, dass jedes Jahr die benötigten 100 000 Euro an Spenden zusammenkommen, und auch viele engagierte Ehrenamtliche arbeiten hier mit.

Wer in Hessen einen Hospizplatz sucht, findet auch zeitnah einen, dafür sorgt eine Kooperation zwischen allen hessischen Hospizen. Im Evangelischen Hospiz Frankfurt kann man in der Regel innerhalb von einer Woche Aufnahme finden.

Dazu berechtigt ist allerdings nur, wer an einer fortschreitenden, unheilbaren und weit fortgeschrittenen Krankheit leidet, nur noch eine befristete Lebenserwartung hat und nicht zuhause behandelt werden kann. Wer also, zum Beispiel nach einem Schlaganfall, schwer pflegebedürftig ist, aber nicht notwendigerweise in absehbarer Zeit sterben wird, kommt nicht in den Genuss der intensiven und qualitätsvollen Hospizpflege.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 27. Mai 2014 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Fidi Bogdahn schrieb am 27. Mai 2014

    Ich frage mich, ob ich die “ intensive und qualitätsvolle Hospizpflege“ als Genuß erleben werde/würde…??…schaun wir mal.

  • Antje Schrupp schrieb am 27. Mai 2014

    @Fidi – Naja, entsprechend der Umstände halt, dass man sehr krank ist und bald sterben wird. Aber immerhin gibt es keinen Kosten- und damit auch keinen Zeitdruck, das heißt, die Dinge werden nicht unnötig verschlimmert. Natürlich kommt es dann immer auch auf die jeweiligen Leute dort an.

  • Johanna Helen Schier schrieb am 27. Mai 2016

    Hallo Fidi!

    „Den Lebensabschnitt der noch bleibt, so schön und erfüllt wie nur irgend möglich gestalten.“ Ein hoher Anspruch, vllt ist das verantwortliche Team in Einzelfällen überfordert. Eine wesentliche
    Voraussetzung für das Gelingen ist auch die Mitwirkung der
    Schwerstkranken: Inwieweit kennen sie sich selbst und ihre
    wesentlichen Bedürfnisse und Wünsche und: sehen sie eine
    Chance, sie hier, an diesem letzten Ort zu verwirklichen?
    Menschen sind vielfältig…

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