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Von – 8. Mai 2014

Film über Roma in Frankfurt

Etwa die Hälfte aller Deutschen wollen keinen Sinti oder Roma zum Nachbarn haben, sagen soziologische Studien. Vier von fünf Roma haben Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht. Mit ihrem Dokumentarfilm „Roma in Frankfurt“ setzen Otto Schweitzer und Cornelia Rühlig andere Bilder dagegen.

Präsentierten den Film "Roma in Frankfurt" im Mal Sehn-Kino (von links nach rechts): Joachim Brenner vom Förderverein Roma e.V., Filmprotagonist Janosch Kelz, Filmemacherin Cornelia Rühlig, Moderatorin Ulrike Holler, Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg, Kameramann Otto Schweitzer und Renate Lutz, Leiterin des Diakoniezentrums Weser 5. Foto: Silke Kirch

Präsentierten den Film „Roma in Frankfurt“ im Mal Sehn-Kino (von links nach rechts): Joachim Brenner vom Förderverein Roma e.V., Filmprotagonist Janosch Kelz, Filmemacherin Cornelia Rühlig, Moderatorin Ulrike Holler, Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg, Kameramann Otto Schweitzer und Renate Lutz, Leiterin des Diakoniezentrums Weser 5. Foto: Silke Kirch

Seit zwei bis drei Jahren wird das Diakoniezentrum Weser 5 mehr und mehr von Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien in Anspruch genommen. Sie schlafen häufig auf der Straße oder in Baracken stillgelegter Industriestätten mitten in der Stadt: ein Leben in Slums. Selten finden sie Arbeit und ernähren dennoch ihre Familien in der Heimat. Denn das wenige, das sie hier haben, sei immer noch mehr als das, was sie in Rumänien haben, sagen sie.

So sie sich überhaupt hörbar machen können, denn fast niemand versteht ihre Sprache: Romani. In Weser 5 treffen sie auf Sabine Böttcher, Sozialarbeiterin und selbst Roma, die nicht nur die Sprache verstehen und übersetzen kann. Sie ist die ideale Besetzung für die Aufgabe einer Integrationshelferin an einem der raren Orte in Frankfurt, an dem Begrüßung überhaupt stattfindet.

Das ist gut, denkt man beim Anschauen des Films, bis deutlich wird: Es ist eine halbe Stelle für drei Monate. Für mehr hat das vom Sozialdezernat der Stadt Frankfurt zur Verfügung gestellte Geld nicht gereicht. Kontaktaufnahme ist im Leistungskatalog nicht vorgesehen.

Auch von Seiten der Bundesregierung werde diesbezüglich kein Handlungsbedarf gesehen, kritisiert Joachim Brenner vom Förderverein Roma e.V. In der Politik gehe es lediglich darum, Drehschrauben zu finden, um „Armutszuwanderung“ und „Sozialmissbrauch“ in den Griff zu bekommen.

Phänomene, die in dem Film nicht vorkommen, denn dieser Film handelt einzig von Menschen. Er lässt ihnen die ganze Leinwand, den ganzen Bildraum, ihren Gesichtern, Gestalten, Geschichten.

Die Geschichten sind lang, sie reichen weit zurück in der Zeit, in das Internierungslager für Sinti und Roma in der Kruppstraße, in die Konzentrationslager des Nationalsozialismus und noch weiter. Und sind doch ganz nah und aktuell, es geht ja um die Großmütter und Mütter, Onkel, Tanten und andere Familienangehörige – heute vor allem um die Kinder in der Heimat.

Es sind Geschichten von Diskriminierung, Gewalt und Ausgrenzung, Geschichten, die leise und bruchstückhaft erzählt werden und kein Zentrum haben, weil die tiefste Erfahrung der Menschen, die sie erzählen, immer die Marginalisierung war und ist. Eine Marginalisierung, die wie eine Haut ihr Leben überspannt und manchmal vielleicht fast ein wenig wie ein Schutzmantel festgehalten wird.

So rückt der Film die Roma in seinen Mittelpunkt, jenseits aller Vorurteile und Denkgewohnheiten. Anders als sonst, wo sie in Frankfurt eigentlich immer nur am Rande vorkommen – wie ein Zuschauer in der anschließenden Podiumsdiskussion anmerkte – als die, die betteln, die stören, die laut feiern und an Autos basteln, von denen wir denken, dass sie sich die nicht leisten können. Die Klischees sitzen tief.

Der Film hingegen zeigt die Menschen, die sich immer alleine zu helfen wissen müssen, die einander fast hinter vorgehaltener Hand zuraunen, wo es einen Arzt gibt, der sie behandeln wird, oder einen Ort, an dem sie nach Arbeit, Kinderbetreuung oder Obdach fragen können, ohne befürchten zu müssen, dass jede Frage nur neue Ausgrenzung, Diskriminierung oder gar offene Gewalt zur Folge hat.

Es ist eine Stärke des Films, dass er die Klischees und Vorurteile nicht wegredet oder ausklammern will, gleichwohl er sie nicht ausdrücklich thematisiert. Auch das Publikum in den Kinosesseln ist davor nicht gefeit – wie die Frankfurter Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg in ihrem Grußwort betonte – also diejenigen, die ohnehin engagiert sind. Doch der Film zeigt, dass Vorurteile immer und überall existieren und wirken.

Doch nur so  kann der gesellschaftliche Klimawandel anfangen: Mit Selbstbefragung, Nachdenken, Handeln.

Etwa die Hälfte aller Deutschen wollen keinen Sinti oder Roma zum Nachbarn haben, sagen soziologische Studien. 80 Prozent aller Roma haben Erfahrung mit Diskriminierung. Ausgrenzung ist ein schwarzer Schatten in unserem Bewusstsein. Der Film leuchtet ihn aus.

Roma in Frankfurt. Ein Film der Margit-Horváth-Stiftung; Lauf­zeit: 45 Min, Kon­takt: info@margit-horvath.de. Der Film kann bei der Stiftung als DVD für zehn Euro erworben und als Unterrichtsmaterial im schulischen und außerschulischen Bereich verwendet werden.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 8. Mai 2014 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Rühlig, Cornelia schrieb am 18. Juni 2014

    Sehr geehrte Frau Kirch,
    wir – die Filmemacher von „Roma in Frankfurt“ schätzen Ihre so differenzierte Rezension unseres Filmes sehr und würde diese gerne auf die Homepage der Margit-Horváth-Stiftung (Auftraggeber des Filmes) übernehmen – selbstverständlich mit Nennung Ihres namens und dem Ort der ursprünglichen Veröffentlichung/präzisem Link.
    Dürfen wir dies tun?
    Mit herzlichen Grüßen und Dank für Ihren Beitrag jenseits der Klischees und Anti-Klischees. Dies mal zu unterlaufen, darum ging es uns in der Tat.

    Ihre
    Cornelia Rühlig
    Margit-Horvath-Stiftung
    info@margit-horvath.de