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Von – 17. Juni 2014

Dir fehlt doch was!? Ideenwerkstatt für Alleinerziehende

Alleinerziehende? Sind das nicht diese ewig überlasteten, sozialhilfeabhängigen Mütter in der Jammerecke? Was stimmt: Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen. Der Rest stimmt nicht.

Über Alleinerziehende gibt es viele Klischees, aber die Wenigsten stimmen. Foto: Christiane Lucas - Fotolia.com

Über Alleinerziehende gibt es viele Klischees, aber die wenigsten stimmen. Foto: Christiane Lucas – Fotolia.com

In Frankfurt sind bald ein Viertel aller Familien sogenannte Einelternfamilien. Alleinerziehend zu sein ist längst kein Randphänomen mehr. Etwa zehn Prozent aller Kinder in Frankfurt sind Kinder Alleinerziehender. Wie es ihnen geht, darüber ist wenig bekannt, denn es fehlen profunde Studien. Umfragen lassen vermuten, dass diese Kinder einen Mangel an Zuwendung erfahren, dass sie aufgrund von Armut stigmatisiert werden und sich nicht selten diskriminiert fühlen. Ist das ein Klischee?

Nicht ein Mann fehlt, sondern ökonomische Sicherheit

Das Frankfurter Bündnis für Familien hat zusammen mit dem Kinderbüro eine Ideenwerkstatt veranstaltet – eine Auftaktveranstaltung für einen Kongress zum Thema „Lebenswirklichkeiten alleinerziehender Familien“ im nächsten Frühjahr. Alleinerziehend zu sein ist ein Stigma. Deshalb will die Mehrzahl der so genannten Alleinerziehenden mit dem Begriff überhaupt nicht in Verbindung gebracht werden, wie Studien gezeigt haben. Aber noch etwas anderes könnte dahinter stecken: Alleinerziehende fühlen sich gar nicht allein. Siebzig Prozent sind nach eigenen Angaben sozial sehr gut eingebunden. Ihnen fehlt nicht ein Mann oder eine Partnerin, ihnen fehlt die ökonomische Sicherheit.

Sechzig Prozent aller Alleinerziehenden leben von ihrem eigenen Einkommen, vierzig Prozent beziehen Sozialleistungen. Deren Umfang ist etwa gleich groß wie die nicht erfasste Alimentierung, die verheiratete Mütter von ihren Ehepartnern erhalten. Die Arbeitsmotivation alleinerziehender Mütter ist jedoch signifikant höher als die von Müttern in Paarbeziehungen. Aber Arbeit will erst einmal organisiert werden, wenn einem niemand den Rücken frei hält.

Zu wenig Zeit ist oft ein Problem

Aber es ist schwer, eine Arbeit zu finden, zu behalten und trotzdem Zeit für die Kinder zu haben, also für die Hausaufgaben, die Schulfeste, den Keuchhusten, den Haushalt. Das Problem sind Barrieren in der Struktur der Hilfeleistungen, wie Susanne Harder vom Diakonischen Werk Altholstein bei der Ideenwerkstatt darstellte. Seit 2009 koordiniert sie ein vom Bundesfamilienministerium initiiertes Modellprojekt, das sich um strukturelle Hilfe für Alleinerziehende in der Region bemüht.

Bedarf – das kann bei so einfachen Hindernissen anfangen wie etwa der Tatsache, dass es keine gebündelten Informationen gibt, dass nicht nur die Alleinerziehenden, sondern die Behörden, Beratungsstellen und Initiativen selbst keinen Überblick über Hilfsangebote haben. Hindernisse, so Susanne Harder, können etwa darin bestehen, dass die Stadtverwaltung über keine Liste der Kindertagesstätten verfügt, bis hin zu den Schwierigkeiten, die auftauchen, wenn Alleinerziehende eine Berufsausbildung oder Fortbildung absolvieren möchten. Der tatsächliche Bedarf unterscheidet sich zuweilen wenig von dem Bedarf der arbeitswilligen Mütter in Paarbeziehungen, nur sind die Probleme hier häufig einfach weniger brisant.

Alleinerziehende sind strukturell benachteiligt

Was es heißt, alleinerziehend zu sein, ist eine ganz einfache Rechenaufgabe: Erwerbsarbeit plus Fürsorgearbeit ist nicht nur eine Doppelbelastung, sondern eine Dreifachbelastung, denn auch die „Vereinbarkeitsleistung“ muss permanent neu erbracht werden. Wenn dann allen Anstrengungen zum Trotz steuerliche Benachteiligungen dafür sorgen, dass das Geld nicht für den Hort reicht, entsteht eine drastische gesellschaftliche Schieflage. Diese Probleme haben jedoch eigentlich nichts mit der Lebensform zu tun, sondern sie werden ihr angehängt – etwa durch steuerliche Begünstigungen wie das Ehegattensplitting, wodurch das die Kinder von Alleinerziehenden massiv benachteiligt werden.

Wie es den Kindern damit geht, darüber gibt es noch keine Studie. Der Kongress im Frühjahr 2015 möchte ein Schlaglicht darauf werfen. Wir dürfen gespannt sein.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 17. Juni 2014 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Dr. Alexandra Widmer schrieb am 17. Juni 2014

    Hallo!
    Der Artikel bringt mich in Wallung…. Es gibt erhebliche Defizite für Alleinerziehende in jeglichen Lebensbereichen. Und doch … Die meisten fühlen sich allein. Ich bin selbst Alleinerziehend, Äerztin und Psychotherapeutin. Ich finde die Entwicklung der körperlichen und psychischen Erkrankungen bei Alleinerziehenden dramatisch. Ich werde mich dafür einsetzen, dass ein neues Bewusstsein geschaffen werden muss. Ich hoffe ich kann mit meinem Input inspirieren! Bei Fragen können Sie sich gerne bei mir melden! Beste Grüße Dr. Alexandra Widmer

  • Friederike Fritz schrieb am 18. Juni 2014

    Hallo,
    ich kann bestätigen, wie schwer es ist, in der Situation ‚allein‘ Erziehend anzukommen. Zum Glück hatte ich die Kraft, die vielen Schritte zu machen, die nötig waren, um mit meiner Tochter allein zurecht zu kommen. Ich musste viele Stellen anlaufen und parallel mit dem verlassen sein zurecht kommen. Ohne die, ohnehin schon laufende, Psychotherapie, wäre ich abgesoffen. Unbürokratische Unterstützung sucht man vergebens. Die Angst ist groß, wie es weiter geht. Meine Tochter ist 2 1/2 Jahre jung und ich mache seit vergangenem Sommer eine neue Ausbildung, da ich vor ihrer Geburt im Verkauf gearbeitet habe. Das ist aber als ‚allein‘ Erziehende nicht vereinbar mit den Betreungszeiten meiner Tochter. Ich musste sehr kämpfen die Ausbildung überhaupt machen zu dürfen.
    Ich muss mich dennoch darauf einstellen Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu müssen, da vom Kindsvater kein Unterhalt kommt und Vollzeit arbeiten, nicht immer gehen wird. Trauig aber wahr… Dennoch… Allein bin ich nicht! Dank, Vamv, meiner Mutter und meinen Freunden

    Wir brauchen eine staatliche Anlaufstelle für „plötzlich allein erziehende“, die helfen können ‚was, wo, wie‘.
    Viele Behörden sind nicht, oder zu wenig, auf die besonderen Problemlagen eingestellt, die ‚allein‘ erziehend mit sich bringen.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Friederike Fritz